Gemüse darf wieder natürlich wachsen

Kommentar vom 29. Juni 2009: Abschaffung der EU-Gurkenkrümmungsnorm

Zu diesem Vorgang veröffentlichen auch die Tageszeitungen entsprechende Artikel. Und weisen darauf hin, wie doch der ganze Paragraph stets belächelt wurde. Meiner Ansicht nach zu Recht: Denn der Vitalstoffgehalt einer Gurke hat nichts mit Größe und Geradheit zu tun, eher im Gegenteil. Also ein Grund zur Freude. Gerade bei Äpfeln hoffe ich, wird das bald greifen. Kleine Äpfel sind so viel aromatischer als die wasseraufgedunsenen kindskopfgroßen Gebilde, die wir häufig nur angeboten bekommen. Auch die Bauern müssten glücklich sein, denn sie können ja nun wieder viel natürlicher anbauen (auch wenn sie keine Biobauern sind) und mehr verkaufen, ohne wegzuwerfen. Doch ganz so stellt sich das einmal wieder nicht da.

Was fällt sind die Schönheitsvorschriften für 26 Obst- und Gemüsesorten, es darf wieder knubbelig sein, wie es in dem Artikel (RGA 29. Juni 2009, Seite 23) heißt. Zitat „Gut für die Verbraucher, sagt die Kommission. Zwar sehe Obst und Gemüse dann oft nicht mehr so appetitlich aus.“ Da stockt mir doch der Atem. Wie vereinnahmt sind wie denn von der Industrie, der Werbung schon, dass wir eine kleine krumme Gurke, eine zweiwurzelige Möhre nicht mehr appetitlich finden sollen?

Weiter geht’s: „Aber je weniger in Konserven und auf dem Müll lande, desto stärker dürfen die Preise sinken.“ Gut gefällt mir natürlich die Gleichstellung von Konseven und Müll, bravo! Obwohl das vermutlich von der Verfasserin nicht so gemeint ist 🙂 Und wieder sollen wir uns über sinkende Preise freuen. Dazu habe ich bereits einmal etwas geschrieben, in meinen allerersten Kommentaren. Sinkende Preise sind keineswegs immer schön. Wer erwartet, dass die Lebensmittel ständig billiger werden, wird doch sicher auch bereit sein, seine eigene Arbeit für immer weniger Geld zu verkaufen, oder? Oder messen wir da mit zweierlei Maß?

Aber dann kam die große Überraschung: „Der Deutsche Bauernverband (DBV) hält die Abschaffung der Obst- und Gemüsenormen für ‚unverständlich und nicht nachvollziehbar‘ und warnt vor einer ‚Wühlkiste‘ im Supermarkt.“ Ich bin zum Glück alt genug, um mich noch bewusst an die verärgerten Bemerkungen des DBV zu erinnern, als diese Normen eingeführt wurden, die Argumente waren ähnlich wie meine: Gemüsequalität hängt nicht von einer Form ab. Aber jetzt ist der DBV vehement dagegen? Das riecht nach Funktionärstum, wenn nicht noch schlimmer, denn „mein“ Gemüsegärtner auf dem Markt liebt seine kleinen krummen Gurken, seine schief wachsenden Möhren fast genauso wie ich. Und was ist denn gegen eine Wühlkiste im Supermarkt einzuwenden? Was ist daran so schlimm, wenn Obst und Gemüse mit kleinen Schönheitsfehlern zu niedrigeren Preisen verkauft werden (ohne dass ja das allgemeine Preisniveau sinkt)? Da gibt es vielleicht mal eine Happy Hour für Obst und Gemüse so wie jetzt für Brot? Dann gilt endlich mal nicht mehr die Ausrede „Ich kann nur Schokolade essen, die ist nämlich billiger als Obst!“