Alte Menschen und Lernfähigkeit

Kommentar vom 2. September 2010: Lernen im Alter

Wie ich letztlich schon einmal in einem Beitrag erwähnte, habe ich vor Jahren in einem englischen Buch gelesen, dass die Lern- und Merkfähigkeit mit dem Alter nicht notwendigerweise nachlässt, vorausgesetzt der Mensch ist ansonsten gesund und tut etwas für seinen Kopf. Dies passt natürlich nicht ins heutige Bild von alten Menschen, die alle dement, vergesslich, hinfällig und gebrechlich sein müssen.

Da hat die Apotheken-Umschau (2. Augustausgabe) es wieder mal geschafft, unter Zuhilfenahme einer Studie einfach ein Vorurteil scheinbar zu untermauern. Wie gehen sie vor? Es ist äußerst raffiniert. Wir sehen einen älteren weißhaarigen Herrn, der durch eine Brille in ein Buch schaut, Bildunterschrift „Zahn der Zeit: Im Alter lernt es sich mühsamer.“ Und der Artikel beginnt mit dem Satz „Das Gehirn kann auch im Alter noch lernen, doch tut es sich zunehmend schwer damit.“ Diese Sätze werden durch nichts begründet. Nun werden geschickt die Ergebnisse einer Tierstudie (!), die offensichtlich auf Demenzkranke zielt (!) so hingedreht, dass sie das Vorurteil beweisen. Und zwar einfach, indem die Zeitung einen Satz zwischen die Vorurteile und die Studie schaltet: „Neurowissenschaftler der Universität Göttingen haben nun eine mögliche Erklärung dafür gefunden„. Und zwar wird bei alten Mäusen im Gehirn ein für das Lernen wichtiges Gen abgeschaltet. Es wird uns aber nicht gesagt, was die Fragestellung der Studie war, was immer ungeheuer wichtig ist! Ich denke nämlich nicht, dass die Fragestellung war: Warum lernen wir im Alter schlechter? Auch hat die Studie nur gezeigt, dass ein für Lernen wichtiges Gen abgeschaltet wird. Mich würde aber interessieren, ob diese Mäuse dann wirklich auch schlechter lernen. Oder ob sie ein anderes Gen für diese Funktion „einspannen“. So etwas gibt es ja auch. Der letzte Satz gibt mir schon eher einen Blick auf das Ziel der Studie: „Die Forscher hoffen, dass sich diese Erkenntnis künftig nutzen lässt, um Altersdemenz zu behandeln.“

Könnte es also sein, dass die Forscher von vornherein gar nicht auf das normale Älterwerden geschaut haben, sondern nur auf Mäuse mit Lernschwierigkeiten im Alter? Das sind zwei völlig verschiedene Dinge!

Die Manipulation ist so subtil, dass sie mir erst beim dritten Lesen aufgefallen ist, obwohl ich für das Thema ja sensibilisiert bin seit der damaligen Lektüre. Ich hatte mich schon gefragt, ob in dem Buch falsches Wissen verbreitet wurde. Aber nein – die Aussagen widersprechen sich im Grunde nicht, weil hier wieder einmal mehr viel zu wenig über eine Studie berichtet wird, die nur hergezwungen wird, um „vermeintlich Richtiges“ zu beweisen.

Viele Menschen haben im Alter mehr Mühe zu lernen – das liegt aber auch daran, dass sie aus der Übung sind. Viele Menschen werden im Alter einfach bequemer, haben keine Lust mehr, irgend etwas Neues anzufangen. Wollen auch gar nicht mehr Lernen, weil das ja mit Arbeit und Mühe verbunden ist. Jemand, der innerlich schon die Einstellung hat, dass er nichts mehr lernen möchte, wird natürlich in neurologisch-psychologischen Tests schlechter abschneiden.

8 Gedanken zu “Alte Menschen und Lernfähigkeit

  1. Mitleser 2. September 2010 / 18:42

    Der Artikel scheint nur aus dummem Gerede zu bestehen. Er geht offensichtlich nicht auf die Funktion von Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis und deren Veränderung im Alter ein. Ebensowenig darauf, dass im Alter Erfahrung eine stärkere Bedeutung als Faktenwissen haben kann. Wie Senioren lernen und wie wichtig es ist, das Gelernte durch ständige Anwendung zu erhalten, könnt Ihr hier sehen:
    http://www.wdr.de/tv/quarks/sendungsbeitraege/2007/0123/008_lernen.jsp

    • OneBBO 2. September 2010 / 18:46

      Danke für den Link – und das war schon 2007 bekannt!

  2. Ines 3. September 2010 / 01:21

    *** Und zwar wird bei alten Mäusen im Gehirn ein für das Lernen wichtiges Gen abgeschaltet.***

    ***„Die Forscher hoffen, dass sich diese Erkenntnis künftig nutzen lässt, um Altersdemenz zu behandeln.“***

    Aber ganz bestimmt!
    Zu Behandlung DEMENTER MÄUSE! 🙂 🙂 🙂

    Wie war doch gleich die Fragestellung der Studie ? 😉

  3. Ines 3. September 2010 / 01:34

    Oh – ich hab noch was!

    Glaubte die Wissenschaft nicht auch lange Zeit, dass sie durch die Entfernung der Gebärmutter (Hysteria) die Hysterie ‚abschalten‘ könne?

    Was lernen WIR daraus?
    Den Wissenschaftlern wird ein für das Lernen wichtige Gen nicht erst im Alter abgeschaltet – sofern vorhanden! 😉

    • OneBBO 3. September 2010 / 06:03

      :mrgreen:

  4. mialieh 3. September 2010 / 11:43

    Also ich erlebe gerade, dass bei meinem Vater und seiner Frau mit der Rente ein richtiger Lernflash eingetreten ist. Da werden plötzlich Computerkurse, Studienreisen, Englischkurse gemacht und es wird richt was freigesetzt, hat man den Eindruck. Aber mein Vater und seine Frau sind auch keine lernbehinderten Mäuse… das muss ich zugestehen…

    • OneBBO 3. September 2010 / 11:49

      Oh, sie sind keine Mäuse? Hmmmm, das macht den Vergleich natürlich schwierig….

      • mialieh 3. September 2010 / 11:54

        Keine Lernbehinderten Mäuse jedenfalls

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