Das Faltendiktat

Kommentar vom 7. Juli 2011: 40 Jahre Sonnenschein

Heute sprang mich in der Tageszeitung eine Anzeige an, die mir fast das leckere Frühstück wieder in die Schüssel fallen ließ. Wir können dort unter Familienanzeigen lesen:

40 Jahre Sonnenschein!
Zum Geburtstag, liebe XXX, alles Liebe und Gute!
[Foto von XXX einmontiert in eine Sonnenblume]
Endlich ist es nun auch für Dich soweit,
zum ‚Club der Greisinnen‘ angereist,
herzlich Willkommen bei uns Alten,
von nun an werden Falten dein Leben gestalten!

Happy Birthday und einen dicken Sack Gesundheit
YYY & Family
P.S. Bleib wie Du bist!

Zum dem horrenden Wunsch „Bleib wie du bist“ habe ich ja schon einmal etwas geschrieben. Jedoch zum Rest: Finden die Autoren das lustig? Glauben sie, sie zeigen hier Humor? Ich kann diesen Humor nicht teilen. Für mich ist das ein fatales Zeichen dafür, wie die Verachtung und Ächtung älterer Menschen in unserer Gesellschaft mittlerweile perfekt funktioniert, wie das ewige uns eingetrichterte „Senioren seid Ihr ab mindestens 50“ beste Früchte trägt. Machen wir uns doch klar, was Greise und Greisinnen sind. Egal, was wir darunter verstehen – ich sehe da nichts, was mich zum Lachen bringt. Warum machen sich die Leute, die vermutlich teils selbst nur knapp über die 40 sind zu „den Alten“ in einem Ton, der nichts Gutes verraten lässt? Das klingt so, als stünden diese Alten schon mit Köfferchen bereit, um sich freiwillig in die atomverseuchten Gebiete deportieren zu lassen, weil sie hier keinen wertvollen Beitrag mehr leisten können.

Mit 40 stehen Frauen etwa in der Mitte ihrer zu erwartenden Lebenszeit. Wenn wir ab 40 zu den Alten zählen, waren wir dann vorher bei den jungen? Mitnichten. Ich würde nicht sagen, dass eine 30-jährige jung ist. Sie ist … „erwachsen“. Genau wie eine 45-jährige, eine 50-jährige. Und der Satz über die Falten ist ja wohl der Hammer an sich! Gibt es für XXX nichts anderes im Leben, als unter dem Diktat der Falten zu leben? Was ist an Falten so furchtbar, wenn es z.B. Lachfalten sind? Falten sind eine Landkarte unseres Lebens. Wer mit 70 Jahren noch keine Falte hat, ist unnatürlich. Ich würde nicht soweit gehen zu sagen, dass Falten erst schön machen – das ist das andere unsinnige Extrem. Aber sie gehören zu uns. Ich möchte mich doch nicht vor irgendeinem Teil meines Körpers gruseln müssen!

Falten sind auch Äußerlichkeiten. Wieso fixieren diese Gratulanten XXX alleine auf Altersgruppe und Äußerlichkeiten? Hat sie sonst nichts, das sie sich wünscht, das wir ihr wünschen können, das sie erreichen möchte, Neuland betreten? Beruflich wichtige Posten bekommen wir häufig auch erst, wenn wir über 40 sind (Professuren, leitende Stellungen, politisch führende Ämter). Das Leben ist ein Prozess nach vorne. Das Leben ist ständiges Lernen, solange unsere geistige Gesundheit es zulässt. Ich möchte keines meiner Jahre missen, ich möchte nicht noch einmal xx Jahre alt sein, weil ich dann alles an „Weisheit“ ja wieder verlieren würde, was ich mir hart erarbeitet habe. Das passt auch zu Aussagen zum Haarefärben. Wobei ich durchaus verstehen kann, dass Frauen sich die Haare färben, ich habe es selbst lange genug getan. Aber merken sie eigentlich, WAS sie sagen, wenn sie es so begründen: „Ich habe die ersten grauen Haare entdeckt, bin jetzt erst 40 und will noch nicht alt aussehen“. Alt aussehen liegt doch nicht an ein paar (!) grauen Haaren. Zum Haarefärben gibt es in etwa 4 Tagen einen eigenen Artikel.

Es gibt ein paar Konstanten im Leben, zum Beispiel dass wir alle sterben, dass wir alle altern. Das geht nicht nur uns so, sondern allen Lebewesen. Jedes Alter hat seine Nachteile, jedes seine Chancen. Ja, das gilt auch für ein hohes Alter, wenn wir das in Gesundheit erreichen können: Und daran „arbeiten“ wir ja mit unserer Ernährung! Machen wir uns doch endlich frei von diesem Zwang, mit 60 noch aussehen zu müssen wie eine 30-jährige, genauso wie von dem Zwang, mit 60 wallende Blümchengewänder tragen und ein überkrontes Gebiss zeigen zu müssen, während wir mit unseren Enkeln spielen, weil wir ja sonst nichts mehr zu tun haben.

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12 Gedanken zu “Das Faltendiktat

  1. Monika 7. Juli 2011 / 17:59

    Warum wird nicht gleich zum Geburtstagsgruß eine passende Faltencreme und der nächste freie Platz im Seniorenheim mit geliefert. Wichtig ist nicht das Alter sonder wie ich mich fühle. Ich denke selten über mein Alter nach, sondern wie ich mein Leben gesund und offen für neues gestalten kann. Ich lege auch keinen Wert auf solche Geburtstagswünsche. Für mich zählen schöne Stunden mit lieben Menschen egal welchen Alters vielmehr.

    • OneBBO 7. Juli 2011 / 18:12

      Ich weiß z.B. von meinen guten Freunden manchmal gar nicht, wie alt sie genau sind. Muss dann bei jedem Geburtstag fragen 🙂

  2. Inge Henneberg 7. Juli 2011 / 20:22

    Eine langjährige gesunde Lebensweise und positive Gedanken sind die beste Kosmetik bzw. Jungbrunnen.
    Sicher bekommt man im Laufe der Jahre paar Falten und die Haarfarbe verändert sich, aber das ist nur natürlich und daher nicht negativ.
    Gut – die weißen Haare müßten nicht sein, meistens sind ja ja mit noch dunklen vermischt und das sieht dann halt „grau“ aus.
    Aber gefärbte Haare passen meistens nicht mehr zum Teint und wirken daher unharmonisch und selten natürlich.

    Daher das beste aus den weißen Haaren machen und einen „pfiffigen“ Schnitt, ich z.B. habe mit fast 70! (wie auch meine Mutter früher) diese weißen Haare unter dem unverändert dunklen Deckhaar und kann sie so noch gut unsichtbar machen.
    Färben käme für mich niemals infrage, weil die Kunstfarbe selten wirklich paßt und meistens giftig ist.

    Übrigens möchte ich mindestens 100 werden und mache mir über Falten oder weiße Haare am wenigsten Gedanken.

    • OneBBO 7. Juli 2011 / 21:32

      Der letzte Satz gefällt mir besonders gut, nicht unbedingt wegen der mindestens 100 – wir sollten dann in 30 Jahren auf deinen Geburtstag anstoßen 😛 – sondern weil du es ins richtige Verhältnis setzt für mein Empfinden. Als ob es sonst keine Probleme im Leben gäbe

  3. Andreas 8. Juli 2011 / 07:12

    Als junger Mensch hört man häufig den Satz “ Wach wäre ich nochmal so jung und hätte deine Beine“. Dieser Satz ärgert mich, weil ich als junger Mensch nichts dafür kann und auch nur einmal jung bin.
    Von meiner Frau die Oma ist da ein extremes Beispiel. Sie lebt für ihre Krankheiten und immer wenn wir sie besuchen erfahren wir die volle Packung Krankheitsgejammer. Klar ist es nicht schön, wenn die Beine nicht mehr so wollen und die Augen Probleme machen. Aber seine Mitmenschen pausenlos damit zu beschallen und denen dann noch indirekt einen Vorwurf machen, weil sie das noch nicht haben und noch jung sind finde ich daneben. Sie ist ein weiteres extrem. doch den Mensch kann diese natürliche Veränderung, die sein Körper durchlebt nicht akzeptieren. Dies liegt vorallem an dem medizinischen Fortschritt. Es gibt Vollzeitpartienten, die meinen, dass wenn sie zum Arzt gehen, dann wird er es schon richten. Schmerzen werden sofort mit Schmerzmittel behandelt und dann wird wieder losgewackelt und keine Rücksicht auf seinen Körper genommen und dann wird sich gewundert, dass die Schmerzen schlimmer werden und nicht durch Medikamente abzuschalten ist.
    Falten zeigen dem Gegenüber, was für ein Mensch sich unter der Haut verbirgt. Die Lebenseinstellung wird mit der Zeit in die Haut gebrannt und der Mensch, der meint, alles ist schlecht und miesepetrig durchs leben geht, der hat auch diese art von Falten.
    Graue Haare habe ich schon mit Anfang 20 gefunden und mein Haupthaar lichtet sich schon stark.
    Wie schon oben beschrieben, jedes alter bringt seine guten und schlechten Seiten mit sich, doch der Mensch vergisst im nachhinein die Schlechten und denkt nur an die Guten.

    • OneBBO 8. Juli 2011 / 07:22

      Gutes Beispiel mit der Oma! Übrigens vergessen nicht alle nur das Schlechte. Mich nervt nämlich zum Beispiel der Spruch „Ach, ich möchte nochmal Kind sein… da hatte man keine Sorgen.“ Das ist doch auch absoluter Quatsch. Natürlich haben Kinder Sorgen, und die sind teils noch viel schlimmer als unsere, weil Kinder noch nicht gelernt haben, mit Problemen umzugehen. Ich erinnere mich z.B. an ein Erlebnis aus der Schule, wo ich mich im ersten Schuljahr einmal nicht in die neue Klasse getraut habe, weil ich mich 10 Minuten verspätet hatte. Das war grauenhaft, und ich bin wieder zurück nach Hause gelaufen und meine Mutter hat mich dann in die Schule gebracht.
      Natürlich habe ich heute kein Problem mehr damit, wenn ich irgendwo zu spät bin. Das hat Gründe, die kann ich erklären und mir passiert ja nichts, außer das ich allenfalls etwas versäume – und ob es wirklich etwas zu versäumen gab, zeigt dann auch erst der weitere Lebensweg 😉 Aber den Durchblick hatte ich als Kind natürlich nicht und auch keine Techniken, mit dem selbstgemachten Druck umzugehen. Daher bin ich froh, dass ich erwachsen bin!

      • Andreas 8. Juli 2011 / 07:44

        Viele Menschen vergessen das aber. Im nachhinein belächelt man solche Situationen. „Ach naja das war doch nicht so schlimm“ heißt es dann.
        Klar würde man die Situationen jetzt anders bewältigen, aber das ist doch mit allem so „Hinterher ist man immer schlauer.“.

        • OneBBO 8. Juli 2011 / 07:52

          Genau das ist ja auch der Sinn der Kindheit: Lernen, das Erwachsenendasein zu bewältigen. Bei räumlichen Dingen lässt sich das einfacher darstellen, wenn man Erwachsene mit Tischen in einer Höhe konfrontiert, wie sie im Verhältnis für Kinder sind.

  4. Inge Henneberg 8. Juli 2011 / 10:16

    Übrigens- mit 20 Jahren war ich auf dem Weg in Richtung Krankheit, hatte keine Ahnung wie ich das verhindern kann.
    War mit mir selber unzufrieden, hatte Kopfweh, legte ungewollt an Gewicht zu und war nie satt.
    Durch BRUKER konnte ich das stoppen, er hat mir die Augen für die Alternativen geöffnet und die habe ich dann konsequent genutzt.

    Daher: „je älter“ ich wurde „desto besser“ ging es mir und damit ist auch aktuell mit inzwischen fast 70 nicht Schluß. Warum sollte das mit irgendwann 100 anders sein?

    Fazit: entscheidend ist nicht das Alter, davon wird man weder krank noch hinfällig, sondern die eigene Lebensweise.

    • OneBBO 8. Juli 2011 / 10:39

      Du bist der beste Beweis für meine Thesen 🙂

  5. Inge Henneberg 8. Juli 2011 / 11:20

    Gerade gelesen: „Experten warnen vor düsterer Zukunft“ der westlichen Industrienationen, u.a. wird da die „Überalterung“ genannt.
    Auch hier wird Alter mit Krankheit und Hinfälligkeit gleichgesetzt, (in der heutigen Zeit schon Normalität) denn allein das hohe Lebensalter bei bester körperlicher und geistiger Verfassung wäre ja (ausgenommen die Rentenkassen, ist aber ein anderes Thema) keinerlei Belastung.

    Daher an dieser Stelle auchmal ein großes „Dankeschön“ an alle jene, welche mit ihrer Aufklärungsarbeit dazu beitragen den Menschen die ALTERNATIVEN aufzuzeigen und auch wichtig, wie einfach man diese in die Tat umsetzen kann (UTE).

    • OneBBO 8. Juli 2011 / 11:35

      Auch ganz schlimm heute, stimmt, die Gleichsetzung von Alter und Krankheit. Und da die Seniorengrenzen ja immer weiter gen Geburt gerückt wird – sind wir eh bald alle krank. Das ist eine düstere Zukunft, für wahr 😉

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