27. April 2102: Warum vegan für mich keine Ernährung, sondern eine Lebenshaltung ist
Wenn ich gefragt werde: „Ach, bist du Vegetarierin?“, antworte ich in der Regel: „Nein, ich esse nur kein Fleisch“. Auf die Frage: „Sollen wir für dich vegan kochen?“ anworte ich: „Nein, bitte nicht, kocht für mich einfach ohne Tiereiweiß.“
Wieso? Wo ist der Unterschied? Ich erkläre das gerne: vegan und vegetarisch sind Lebenseinstellungen. Für mich ist diese Essweise nicht vorrangig eine Frage der Tierliebe, sondern dessen, was ich ernährungsmäßig für vernünftig halte. Dass ich mit fortschreitender tiereiweißarmer oder manchmal -freier Ernährung auch dem rohen Fleisch und der Tierhaltung gegenüber eine andere Einstellung bekommen habe, liegt auf der Hand. Warum ich mich aber vor allem immer noch und immer stärker gegen die Bezeichnung „vegan“ für mich selbst setze, konnte ich letztlich wieder an einer Webseite sehen: hier.
Mich graust, wenn ich dort zu den Milchprodukten lese: „Milch wird ganz einfach durch Soja-, Reis- oder Hafermilch ersetzt. Sojamilch gibt es mittlerweile in fast jedem Supermarkt (…). Sojamilch ist vom Geschmack her sehr ungewöhnlich, ich würde jedem empfehlen, mit Vanille oder Schoko anzufangen. Am Anfang muß sich fast jeder daran gewöhnen, aber mit der Zeit – zumindest bei mir war das so – findet man dann normale Kuhmilch eklig und schleimig. […]
Sojamilch kann ganz normal wie Milch verwendet werden, zum Kochen und Backen, über das Müsli oder als Kakao. Sogar Pudding kann man ganz normal damit kochen. Für süße Rezepte verwende ich meist eine Vanillemilch, vor allem bei Pfannkuchen habe ich damit sehr gute Ergebnisse erzielt.“
Hoffentlich werde ich dort nie eingeladen… 😉
Gegen grausame Tierhaltung bin ich auch. Dennoch berührt mich die Grausamkeit gegen Menschen immer noch mehr als die gegen Tiere. Für einen deutlich geringeren Fleischverzehr bin ich unbedingt auch. Aber ganz ehrlich: Ich war hocherfreut, als ich bemerkte, dass mein Frühstück am 1. April (Scheibe Brot mit dick Schinken drauf) von vielen nicht direkt als Aprilscherz erkannt wurde. Es heißt nämlich, die meisten wissen, mir geht es um das Essen, nicht um ein Dogma. Es mag Menschen geben, die glauben (!), dass sie auch kurz vor dem Verhungern ein Stück Fleisch ablehnen würden. Zum Glück sind wir bis jetzt hier in diesen Breitengraden nicht vor die Wahl gestellt, theoretisch können wir alle viele schöne Dinge von uns glauben. Auch wenn es den einen oder anderen überzeugten Nicht-Fleischesser schockieren mag: Ich müsste nicht einmal kurz vorm Verhungern sein, um zu einem Stück Fleisch zu greifen. Richtig deftiger Hunger und nichts anderes zur Hand würden da durchaus reichen.
Da ich mich stets selbst immer wieder teste, habe ich in den letzten Monaten auch hier und dort mal in ein Stück Fleisch gebissen. Und? Fisch schmeckt mir gar nicht mehr. Fleisch schmeckt mir nicht besonders. Ente ging noch. Ich vermisse nichts, wenn ich diese Dinge gar nicht esse. Doch ich weiß auch eins: Würde ich irgendwann einmal darauf angewiesen sein, doch tierisches Eiweiß zu essen, hätte ich damit weniger Probleme, als zum Beispiel etwas Gezuckertes essen zu müssen.
So rein wissenschaftlich ist auch noch nicht entschieden, ob wir nun „von Natur aus“ Omnivoren (Allesesser) oder Vollvegetarier sind. Beide Seiten haben gute Argumente, leider sind nicht beide Seiten immer sachlich. Wobei ich persönlich überzeugt bin, dass der Mensch durchaus ohne Fleisch und Tierprodukte leben kann. Der menschliche Körper ist eben anpassungsfähig, und eine sehr fleischarme bis fleischfreie Kost hat sich immer wieder als günstig erwiesen. Warum der heutige hohe Fleischverzehr für die Gesundheit des einzelnen und für „die Welt“ als Ganzes schädlich ist, brauche ich wohl nicht mehr zu erläutern, dafür gibt es genug Material.
Ich möchte mir die Offenheit bewahren. Für mich ist Vollwerternährung die ideale Ernährungsform, weil sie aufbauend auf nachvollziehbaren und erwiesenen Tatsachen nur Empfehlungen kennt, keine Verbote. Also jemand, der einmal in der Woche oder im Monat Fleisch isst, oder genauso häufig ein Stück Käse, ist deshalb für mich kein schlechterer „Vollwertmensch“. Ich möchte auch kein schlechtes Gewissen haben, falls mich mal der Hunger auf einen Hühnerschenkel überkommt. Denn dieses Getue um das Fleisch entspringt manchmal auch unserem Luxus, in dem wir leben. Nomaden, die vom Fleisch leben, zum Beispiel würden als Veganer eben sterben.
Ich bin eine überzeugte Vertreterin der tiereiweißarmen bis tiereiweißfreien Ernährung. Die Gründe sind rein eine Sache des Wohlbefindens, kein Dogma, keine Weltanschauung. Und nur wenn wir die Vollwerternährung völlig vom Dogma befreien, haben wir auf Dauer die Chance, dass sie sich durchsetzt. Und das ist vor allem mein Ziel: Dass die Menschen nicht mehr Krankheiten als unvermeidliches Übel sehen, sondern als eine Folge ihrer Lebensweise, die sie selbst in der Hand haben. Ob mit oder ohne einem Schnitzelchen, aber „natürlich“ nicht mit einer Eiweiß- oder Steak-Diät.
Dieser Kommentar gefällt mir sehr, Ute! Genau diese Offenheit und diese Anti-Engstirnigkeit – mir ist kein passenderes Wort eingefallen 😉 – schätze ich an dir und deinen Texten!
Anti-Engstirnigkeit ist doch eine wundervolle Wortschöpfung 😛
Na ja, ich bin ja sonst immer deiner Meinung, aber in dem Fall nicht so richtig. Deshalb hab ich mir mal zwei Aufhänger rausgefischt 😉 : Ich denke, wir sind Fruchtfresser (so wie die Affen) und finde es nicht schlimm, wenn Einsteiger übergangsweise Sojamilch verwenden. Der Wille zur Veränderung ist doch das, was zählt. Phasenweise benutze ich auch Sojamilch (ohne Zucker), weil es mir einfach zu anstrengend ist sie selbst zu kochen – das hab ich auch mal ne Weile gemacht.
Ich sehe es auch so, wenn es um die Ernährungsform „vegan“ als Solches geht. Aber dann müsste die ausgewogene Ernährung auch abgeschafft werden und die ist noch nichtmal eine Lebenshaltung. Wie wär’s stattdessen, wenn an den Schulen die vollwertig vegane Ernährung gelehrt würde? Immer vorausgesetzt, dass gelegentliche Ausnahmen ok sind und somit kein „Muss und Darf“ entsteht 🙂
Wenn du denkst, dass wir Fruchtfresser sind, ist das zwar schön, aber nicht unbedingt ein Beweis 🙂 Selbst Fachleute sind sich da nicht einig, das habe ich zu akzeptieren gelernt, auch wenn es mir nicht gefällt. Es gibt wirklich für beide Seiten genug schlüssige Stimmen, und je nach dem, wo wir stehen, finden wir die Argumente eben überzeugender.
Sojamilch ist für mich als Vollwertlerin ein absolutes nein. (Im Übrigen war obiges Zitat ganz sicher nicht für den Übergang gedacht.) Der Übergang von tiereiweißreicher zu tiereiweißarmer / tiereiweißfreier Ernährung kann doch einfach mit dem Ausschleichen der entsprechenden Lebensmittel erfolgen. So wie ich mir den schwarzen Tee abgewöhnt habe, einfach jeden Tag weniger, ich habe doch stattdessen auch nicht angefangen, Kaffee zu trinken. Warum ein anderes, auch nicht besseres Produkt als Krücke nehmen? Sojamilch ist ein Industrieprodukt, viel zu eiweißlastig und heute nur noch mit Schwierigkeiten „genfrei“ zu bekommen. Das ist der Brukersche Vollwertwissensstand, hinter dem ich stehe.
Vegane Vollwertigkeit ist eine Mischung aus einer moralischen Einstellung und ärztlich-medizinisch begründbarem Wissen. Warum so ein Missgebilde schaffen? Damit ist niemandem gedient, alles wird nur noch verschwommener.
Mir ist klar, dass sich „Fachleute“ immer noch nicht einig sind. In meinen Ohren klingt die Erklärung von Schatatlova am logischsten (Wir fressen uns zu Tode S. 137) 🙂
Wieso muss Sojamilch ein Ersatz sein? Sie ist wirklich lecker und in Maßen verwendet wird der Eiweißgehalt sicher nicht schädlich sein. Nüsse haben ja auch viel Eiweiß (weiß jetzt nicht wie viel genau). Industrieprodukt ja, aber Sahne und Butter stellst du bestimmt auch nicht selbst her. Was ist schlimm daran eine Bohne zu mahlen, mit Wasser aufzugießen und zu kochen? Die Genfreiheit – ja, bedenklich, aber das ist jedes Getreide, das für die Massentierhaltung seit Jahren großzügig verwendet wird und bereits patentiert wurde. Ein Stück weit vertraue ich auch auf die Kontrollen.
Vegane Vollwertigkeit ist kein Missgebilde. Es erspart einfach nur die ellenlangen Erklärungen. Es bedeutet doch nichts anderes, als so natürlich wie möglich und tierproduktfrei wie möglich (bei mir „außer Honig“ 😉 ).
Bitte den Text nicht aggressiv verstehen – ich find Meinungsaustausch gut, vor allem mit so erfahrenen Leuten wie dir 🙂
Ich habe deinen Beitrag nicht aggressiv verstanden. Eine andere Meinung darf natürlich sein 🙂
Du hast doch gerade noch geschrieben, dass Sojamilch für den Übergang geeignet ist. Was ist sie dann anderes als Ersatz? Sojamilch ist – wenn du sie fertig kaufst – stärker industriell verarbeitet als Butter und Sahne. Nüsse sind zwar eiweißhaltig, aber nicht so überschüssig wie Soja.
Wie gesagt – niemals 🙂 würde ich von mir behaupten, dass ich vegane Vollwertlerin, zu viel schwingt da mit, was nichts mit Essen, sondern mit „Tiermitleid“ zu tun hat. Das ist eben mein Standpunkt. Ich möchte für meinen Teil die Vollwert von moralischen Werten freihalten, und vegan hat immer etwas mit „Moral“ und „Ethik“ zu tun.
Für mich war Sojamilch anfangs auch Ersatz. Dann hab ich sie selbst hergestellt und mich gefragt, warum soll ich mich davon verabschieden? Jeder muss selbst entscheiden, wie er zu dieser Pflanze steht. Im Moment finde ich es für mich ok.
Ja, mit „vegan“ schwingt immer auch Idealismus mit. Gut so ;-P
Nun da unterscheiden wir uns eben in Bezug auf den Idealismus. Meiner liegt halt woanders. Und ich möchte vor allem für mein Leben „Idealismus“ aus der Vollwerternährung heraushlten.
Jeder muss selbst entscheiden, wie er sein Leben führt und sich ernährt, das sowieso. Ansonsten verweise ich auf den Ärztlichen Ratgeber von Bruker, wo das Thema Soja ausgiebig abgehandelt ist 🙂
@Pia, ich finde das ein sehr interessantes Thema und habe daher eine Frage in „Frag doch mal die Ute“ daraus gemacht.
Bin gespannt 🙂
Sei mal nicht zu gespannt 😉
Anti-Engstirnigkeit: das ist für mich auch ein gutes Motto.
Wir selbst und unsere Welt sind viel zu komplex als dass es möglich wäre, „alles“ „richtig“ zu machen. Ich denke oft an einen Spruch von Kafka: Alles menschlichen Fehler sind Ungeduld, ein vorzeitiges Abbrechen des Methodischen, ein scheinbares Einpfählen der scheinbaren Sache“.
Diese Ungeduld von mir fernzuhalten heißt für mich bei der Ernährung: Da gibt es Vieles, was ich mehr oder weniger unter einen Hut bringen möchte: eine gesunde und nicht zu eiweißreiche Ernährung, Boykott von Massentierhaltung und Massenschlachtungen, Beitrag dazu, dass die Menge der produzierten Nahrungsmittel für die Weltbevölkerung ausreicht, dass keine weiteren Regenwälder abgeholzt werden, dass der CO2-Ausstoß nicht weiter ansteigt ; „Aufklärung“ meiner Mitmenschen – mit so wenig missionarischem Touch wie möglich – , möglichst wenig soziales und kulturelles Außenseitertum. Ich muss zulassen, dass sich dies alles lässt nicht widerspruchsfrei unter einen Hut bringen lässt, dass ich Schwerpunkte setzen muss, dass jeder da andere Schwerpunkte setzen wird. Wenn ich jemanden für den Gedanken eines fleischfreien Wochentages geöffnet habe, bin ich gllücklich. Das ist übrigens viel leichter, als jemanden für den Gedanken an Vollwertkost empfänglich zu machen …
Ich stimme dir im Wesentlichen da völlig zu. Barbara Rütting hat das so schön formuliert mit ihrem: Besser ich bringe 1000 Menschen dazu, weniger Fleisch zu essen, als dass ich einen zum Vegetarismus/Veganismus bekehre. Genau darum geht es. Wir sind uns ja wohl alle einig, dass ich niemandem zum Fleischverzehr animieren möchte 🙂
Das dürfte heute auch kaum nötig sein, jemanden zum Fleischverzehr zu animieren. Meine Oma erzählte in meiner Kindheit oft von ihrem Bruder, der an perniziöser Anämie litt und täglich rohe Leber essen musste. Als er sie nicht mehr runterbrachte, ist er gestorben; heute gibt es da Medikamente.
Ich weiß nicht, ob irgend jemand heute noch ernsthaft glaubt, es sei der Gesundheit zuträglich v i e l Fleisch zu essen. Hochinteressant ist es aber, sich (mit etwas Kenntnis über Verdrängung, Kompensation usw.) die zur Rechtfertigung vorgebrachten Argumente von Vielfleischessern anzuhören. Und auch interessant zu sehen, wie häufig sich Vertreter von gesünderen Ernährungstheorien gegenseitig angiften. (Ein ähnliches Phänomen gibt es ja beim Dialog zwischen einander ähnlichen politischen oder religiösen Strömungen.) Deine anti-engstirnige Lebenshaltung ist da eine wahre Wohltat.
Diese Angifterei finde ich auch nervig, da gibt’s ja auch beim Getreide richtige „Schlachten“. Mir ist das egal, wie andere (meist Rohköstler) das sehen. Ich finde Getreide ob roh oder gekocht sehr wertvoll, weil mich die Argumente dafür, die Menschheitsgeschichte und meine persönlichen Erfahrungen überzeugen. Was aber nicht heißt, dass ich jetzt Lust habe, mich da in stundenlange Diskussionen einzulassen. In der Zeit könnte ich ein leckeres Essen kochen 😉
So ähnlich ist das auch mit Soja und Smoothies …
Hallo Ute, ich möchte gerne den Zeitungsartikel lesen 🙂
Ich habe ihn dir gerade per Mail geschickt.
Welcher Zeitungsartikel?
Hab das Posting jetzt gefunden. Auf meinem mobilen Gerät werden die Ränder des Blogs in den nicht sichtbaren Bereich verschluckt. Auch ich würde den Artikelmgerne lesen.
Ein sehr schöner Artikel. Da bekommst du bestimmt noch ein paar neue Fans 🙂 Ich freue mich das es noch eine “ Gleichgesinnte“ gibt ich stehe auch ne halbe- dreiviertel Stunde vor dem Rest der Familie auf und genieße die ersten paar Stunden vom Tag ganz für mich ( bei mir allerdings ab 5 :-). Was ich noch ganz witzig finde wenn “ unsere “ Ute Rezepte ins Netz stellt sind die Zutaten ( erst das Paramus dann die Ko;-)kosflocken – Rohkost) bei den Online Versanden immer ausverkauft . Als nächstes kommt bestimmt das lila Maismehl dran.
viele Grüße und ein sonniges Wochende
Ich habe so etwas mal mit Maca-Pulver erlebt, das ich gar nicht besonders mochte. Ich hatte zwei Pakete geschenkt bekommen, in alle möglichen Rezepte eingebaut…. und irgendwann mal geschrieben, dass ich das nicht mag 😉 Und so ist das mit Maismehl auch. Das ist für mich nicht vollwertig, genauso wenig wie gekauftes Vollkornmehl. Ich hab’s halt geschenkt bekommen, werde es in kleinen Mengen verbrauchen und testen, mit experimentieren. Schmecken tut’s im Übrigen…. nach nichts 🙂