Peter, der Sammler

Peter ist ein großer Sammler vor dem Herrn, wie es so schön heißt. Daher sind die Regale im Wohnzimmer von Marlies und Peter in erster Reihe vor Büchern oder auch komplett mit Sammlungen gefüllt. Zwanzig kleine Metallautos, die sich nur in der Farbe unterscheiden, nehmen ein Regalbrett in Anspruch. Vor Weihnachten stehen um die Uhr im mittleren Regalfach vierundzwanzig Schokoladenweihnachtsmänner. Peter hat sich mittlerweile so viele DVDs angeschafft, dass er hundert Jahre alt werden müsste, um sie alle noch in seiner Lebenszeit durchzuschauen. Und er ist beileibe nicht 98 Jahre alt! Ein Drittel der DVDs füllt ein Ikea-Billi-Regal im Keller komplett, der Rest war auf einige Regalbretter im Wohnzimmer verteilt. Serien stehen zusammen. Seine Lieblings-Filme positioniert Peter jedoch noch mit Blick auf das Cover vor diese Reihen.

Freitags leiten Marlies und Peter das Wochenende ein, indem sie zu einem großen Kaufhaus fahren und dort ihre Einkäufe für die Woche tätigen. So wie das früher war: Freitag ist Großeinkauf! Im dazugehörigen Bistro essen sie heiße Baguettes oder ein kleines Menü und gönnen sich dazu etwas Kuchen. Tradition ist ebenso das Überraschungsei aus der Bioecke. Die normalen verschmähen beide, denn sie leben fair, bewusst und gesund.

Das Öffnen dieser Überraschungseier wird Samstag nach dem Frühstück zelebriert. Peter bereitet Mokka vor, den sie mit Sahne genießen. Außerdem öffnet Peter das Ei: Er zieht die Metallfolie ab und entsorgt sie korrekt. Dann schlägt er das Ei auf, Marlies verteilt die Schokolade und Peter hält die kleine Plastikhülle in der Hand, dreht sie allmählich auf und zieht die beiden Teile auseinander. Die Spannung wächst.

Als sie vor einigen Jahren mit den Überraschungseiern angefangen haben, war das ein Riesenspaß. In der ersten Serie gab es kleine Figuren oder Tiere aus Sperrholz mit eingebrannten Linien, die man zusammensetzen musste. Erst waren es Tiere für einen Bauernhof, dann Märchenfiguren. Wenn man zehn Figuren/Tiere sammelte, anmalte und das Foto einschickte, gab es einen Bauernhof umsonst dazu. Sie stellten die Figürchen im Tassenregal in der Küche auf. Da Peter nicht willens war, seine schönen Figuren anzumalen, ließ er sich auf den Vorschlag von Marlies ein, Dubletten zu sammeln und die einzufärben. Zwar gab es regelmäßig Dubletten, auch Tripletten, aber zehn verschiedene bekamen sie nie zusammen.

Dann änderte sich der Inhalt. Blöde kleine Filzfiguren, Abziehbildchen. Die beiden kauften brav jede Woche und warteten. Dann kam eine neue Serie, die beide hassten: zwei Stück bedruckte Pappe, eines eine Figur, das andere eine Standfläche, auf der die Figur montiert wird. Marlies hatte sich schon länger von den Dubletten getrennt. Peter konnte sie nicht wegwerfen und stellte sie im Wohnzimmer auf ein Regalbrett. Den Einzug der „döseligen Pappfiguren“ (Zitat Marlies) in die Küche ließ Marlies gar nicht erst zu. Als sie bei Gelegenheit ihren Blick über die Wohnzimmerregale schweifen ließ, entdeckte sie den Anfang einer Pappfigursammlung. Nein, Peter hing daran. Na gut.

Sie arbeiteten sich im Laden durch drei Lagen Schokoeier, was ganz schön lange dauerte, weil sie pro Woche nur eins kaufen. Als nur noch zwei vorhanden waren, baten sie dringend um Nachlieferung. Der zuständige Einkäufer notierte sich den Wunsch. Dann, endlich, war der Platz wieder prall gefüllt. Drei Lagen nagelneue Überraschungseier!

Zuhause angekommen, riss Peter flugs die Verpackung auf – er konnte nicht bis Samstag warten, um ein Ei der neuen Serie anzuschauen. Die beiden sahen sich an: Wieder eine Pappfigurn aus der Serie! Das heißt, die nächsten Monate würde es weiterhin Döseligkeit geben und das Regel würde immer voller und hässlicher.

Marlies hielt es nicht mehr aus. Eines nachts schlich sie mit einem Feuerzeug in flatterndem Nachthemd ins Wohnzimmer. Mit fast teuflischem Lächeln entzündete sie eine der Pappfiguren. Mit großer Freude sah sie, wie sich eine Figur nach der anderen den Flammen ergab. Leider hatte Marlies nicht bedacht, dass das Regal nicht feuerfest war. Die Flammen loderten wenige Minuten später hoch aus den Fenstern.

Niemand ist ums Leben gekommen. Das Feuer konnte von der Feuerwehr gelöscht werden, bevor das Haus komplett abbrannte. Viel Gespartes ging für Renovierung drauf. Die versengten Haar an Marlies‘ Stirn wuchsen nach. Aber Peter sprach drei Wochen lang nicht mit seiner Frau. Seine schöne Sammlung! Bücher und DVDs die weggeschmolzen waren, störten ihn nicht so sehr. Aber diese wunderbaren Figuren. Man kann nur hoffen, dass die beiden sich irgendwann wieder versöhnt haben.

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