7. Dez. 2013: Gekeimtes fertig
In den Rohkost-Shops entdecke ich etwas Neues: Fertiggekeimtes. Nicht etwa, wie wir das aus dem Bioladen gewohnt sind, also frisch gekeimt. Nein, sondern gekeimt und dann getrocknet – bei Rohkosttemperatur unter 42 °C. Und daher, so heißt es dann immer, sind natürlich alle Vitalstoffe erhalten geblieben.
Äh, wie bitte? Diese ganze Trocknerei ist etwas, das mich an der heutigen Rohkost enorm nervt. Trocknen ist ursprünglich eine Konservierungsart, um Überschüsse haltbar zu machen. Weder ist es ein Ersatz für Frisches noch gar besser. Schaut man sich heute Rohkost-Bücher an, scheint Rohkost gar nicht mehr möglich ohne einen Dörrapparat. Manche nennen ihn – was ich noch eigenartige finde – Rohofen. Rohofen gibt’s nicht, man schaue sich dazu nur einmal den entsprechenden Artikel von Wikipedia an: hier.
Wer Rohkost machen will, kommt mit einem Messer aus. Okay, das ist jetzt sehr einfach. Aber leckere Rohkost kann ich schon mit einem Messer, vielleicht einer Elektroraspel und einem kleinen Mixer herstellen. Da kann ich von Konfekt bis zu gefüllten Gemüserollen alles herstellen, was das Rohkostherz begehrt. Ein Rohkostherz, das unbedingt auch einen Dörrapparat sein eigen nennen muss, hat das mit der Rohkost nicht wirklich verinnerlicht.
Klar, es macht Spaß, hin und wieder auch mal kleine Speisen unter Einbeziehung eines Dörrgeräts herzustellen, aber Spaß soll es bleiben, nicht notwendiger Bestandteil.
Sprossen und Keime sind nicht nur in der Rohkost sehr wertvoll, sie sollten ein regelmäßiger Bestandteil jeder Vollwerternährung sein, wie ich vor einiger Zeit unter Organisation ja schon ausgeführt habe. Sprossen ist so einfach, ein Bio-Snacky-Glas kostet nicht einmal 6 Euro. Und wenn ich gar nichts ausgeben will, reicht eine kleine Schüssel mit einem Sieb dabei.
Nun ist Rohkost modern. Nicht mehr ganz so schick wie vegan essen – das ja im Moment der Hit ist, ich find’s schon zum K…. -, aber doch immer noch angesagt. Und für die Luxus-Rohköstler ohne Gehirn haben sich dann die Leute, die immer gerne auf den Zug der Zeit springen, um den Leuten rasch das Geld aus der Tasche zu ziehen, etwas Tolles einfallen lassen. Sprossen, das wissen auch die Luxusgeschöpfe mittlerweile, sind gesund, weil sie oft mehr Vitalstoffe enthalten als die Pflanzen, die später aus ihnen wachsen. Also gibt es jetzt Sprossen zu kaufen, die nicht mehr sofort gegessen werden müssen. Denn die Organisation alles Frischen ist für Luxusgeschöpfe ja schon zu viel, sie müssen sich ja damit beschäftigen, was sie als nächstes kaufen, da ist die Überlegung, wann sie die nächsten Sprossen ansetzen, natürlich zu viel verlangt. Die klugen Hersteller bieten jetzt getrocknete Sprossen an. Und weil jeder, der sich mit Rohkost beschäftigt, mittlerweile weiß, dass die Rohkostgrenze bei 42°C und nicht bei 50°C anfängt, haben sie ihre Sprossen vitalstoffschonend bei nicht mehr als 42°C getrocknet.
Ist das nicht wunderbar? Ich liebe Werbesätze wie „Die Ankeimung der Samen wird mittels eines patentierten Verfahrens unter Einfluss von Wasser, Sauerstoff, Wärme und Licht realisiert“ (siehe hier). Gut schon, dass nur angekeimt wird. Was der Unterschied zum Keimen ist, weiß wohl nur der liebe Gott, aber es klingt schon mal viel vorsichtiger. Ich keime daheim auch mit Wasser, Sauerstoff, Wärme und Licht, wäre aber nie auf die Idee gekommen, das patentieren zu lassen. Aber Wunder gibt es immer wieder. Schön auch, wie wieder einmal das Wort realisieren eingesetzt wird. Ein kleines Fremdwort ist immer gut, um uns in Ehrfurcht erstarren zu lassen.
Weiter gehts: „Dadurch wird der komplett vorhandene Nährstoffkomplex im Saatgut aktiviert. Dies stellt eine alte Tradition von Ernährung dar und wird von ernährungsbewussten und ganzheitlich denkenden Menschen sehr geschätzt. Verzehrfertig, ursprünglich und lecker! Hergestellt bei Temperaturen nicht über 42°C.“
Klug, gell? Dadurch – das ist der Keimvorgang. Richtig, stimmt. Die alte Tradition stimmt auch. Nur nach diesem Satz… da fehlt etwas, da ist etwas ausgefallen. Nämlich der Hinweis, dass Frischware natürlich beim Trocknen immer an Wert verliert. Mindestens die wasserlöslichen Stoffe gehen verloren, der Rest wird konzentriert und da können wir einmal in die Kollath-Tabelle schauen, wo denn konzentrierte Nahrung steht.
Die Preise sind auch nett. 100 g gemischte angekeimte (haha) Samen plus übrigens ungekeimtem Saatgut kosten 3,99 Euro. Ein Kilogramm würde also 39,90 Euro kosten. Ich bin mir zwar bei den Fleischpreisen nicht mehr sicher, aber ich meine, Filet sei da immer noch billiger. Und das, wo ich doch immer behaupte, Vollwertkost und Rohkost seien preiswerter als die Normalkost mit Fleisch usw. Aber ich bin beruhigt, dass es Firmen gibt, die dafür sorgen werden, dass bald die Überzeugung vorherrscht, dass Rohkost etwas für Luxusmenschen ist.