Kommentar vom 5. Juni 2010: „Kinder und Übergewicht – Verbandschef Josef Kraus spricht“
Josef Kraus ist Träger des Bundesverdienstkreuzes. Er studierte für das Lehramt an Gymnasien die Fächer Deutsch und Sport und ist heute Oberstudiendirektor, seit 1987 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Auf dem Foto bei der Bundesverdienstkreuz-Verleihung: hier können wir sehen, dass er doch etwas Mühe hat, das Jacket über seinem durchtrainierten (haha) Körper zu schließen.
Wieso spreche ich so hässlich über eine kleine Äußerlichkeit? Nun, weil ich heute Morgen in der Tageszeitung seine Äußerungen zu Gewicht von Kindern gelesen habe, was mich wirklich aufgebracht hat.
Kraus möchte nämlich, dass Kinder in der Schule auf Gewicht kontrolliert werden und wenn sie Übergewicht haben, dementsprechend ausgesondert, ups, behandelt und die Eltern benachrichtig werden sollen. Übergewicht, so Kraus, kann nämlich bis an Kindesmisshandlung grenzen. Und Eltern übergewichtiger Kinder sollen dann auch weniger Geld (Hartz IV) bekommen. Meine Meinung dazu:
1. Warum wird hier nur vom Übergewicht gesprochen? Ist der Zwang zum Dünnsein nicht für viele Mädchen und auch Jungen mittlerweile Anlass genug, magersüchtig und somit untergewichtig zu werden?
2. Der Zwang zur Norm (z.B. Markenkleidung, Schlanksein) ist heute bei Jugendlichen schon schlimm genug. Muss das nun noch offiziell abgesegnet werden, indem übergewichtige Kinder noch weiter sozial diskriminiert werden, als das ohnehin schon der Fall ist?
3. Wer bestimmt denn, was übergewichtig ist? Als ich Mitte 20 war, galt für Frauen die Norm „Zentimeter über 100 minus 10 Prozent“. Ich habe damals schon darüber gelacht, meine Mutter sah mit einem solchen Gewicht nämlich aus wie eine runde Kugel (also zu dick), ich dagegen wie ein Opfer aus Hungerzeiten (ausgezehrt – ich hatte damals für kurze Zeit mein Idealgewicht). Das heißt, Kinder und Eltern werden möglicherweise zu einem Gewicht gequält, das in einigen Jahren vielleicht überholt ist?
4. Wie soll denn das Übergewicht bekämpft werden? Indem schon kleine Kinder in Diäten gepresst werden? Ich erinnere da an die Gastbeiträge zum Frühstücksfernsehen von dieser Woche!
5. Eltern müssen sich, so Kraus, um gesunde Ernährung und genügend Bewegung ihrer Kinder kümmern. Wer bestimmt denn jetzt, was gesunde Ernährung ist? Da müssen Eltern, die ihre Kinder rohköstig oder vegetarisch ernähren, bald mit Zwangsmaßnahmen rechnen? Da dauert es auch sicher nicht mehr lange, bis die Vollwert ähnlich diskriminiert wird! Im Übrigen: Warum packt Herr Kraus sich nicht an die eigene Nase? Mit seiner bläulichen schlechten Haut und seinem ganzen Erscheinungsbild sieht er nicht so aus, als ob er sich gesund ernährt oder gar genug bewegt.
6. Kinder durchlaufen Phasen, wo sie in die Breite und dann welche, wo sie in die Höhe wachsen. Ich konnte das bei einem meiner Neffen in den letzten Jahren bestens beobachten. Mit 12 oder 13 Jahren war er wirklich moppelig, er hatte das, was ich so „Kegelbeine“ nenne. Heute, kurz vor seinem 16. Geburtstag, ist er groß und schlaksig. Wie sähe er heute aus, wenn damals die Eltern Druck auf sein Essverhalten ausgeübt und ihm jedes eigene Empfinden für Sattsein somit für alle Zeiten verdorben hätten?
7. Wer garantiert den Eltern, dass nicht ein Arzt die Untersuchung durchführt, der für knabenhafte Figuren schwärmt und daher die Gewichtstabelle bei den Mädels schon mal gerne enger anwendet? Der sich der phasenhaften Entwicklung, wie ich sie in Punkt 6 beschrieben habe, und auch individueller Unterschiede nicht bewusst ist bzw. sie nicht akzeptieren will?
8. Wie weit will der Staat noch in unser Privatleben eingreifen? Wann wird die Rente von Senioren dann demnächst danach bemessen, ob sie auch das rechte Gewicht haben? „Rente runter für fette Rentner!“ ist doch auch ein hübscher Werbeslogan.
Ein wunderschönes Beispiel für den gesunden Menschenverstand ist auch hier meine eigene Familie. Meine ältere Schwester hat zwei Kinder, ein Mädchen und einen Jungen. Der Junge war bei seiner Geburt schon recht groß und dementsprechend auch ein bisschen schwerer als gewöhnlich. Im Alter von einem Jahr war er immer noch größer als gleichaltrige Kinder – und auch ein wenig schwerer. Bei einer der Routineuntersuchungen sagte der Kinderarzt mit besorgter Miene zu meiner Schwester: „Der Junge ist viel zu schwer für sein Alter! Sie dürfen ihm nicht so viel Milch geben, geben Sie ihm öfter Fencheltee.“ Meine Schwester war also brav und gab dem Jungen abwechselnd Milch und Fencheltee. Natürlich wurde der Säugling vom Fencheltee nicht satt und schrie, schrie, schrie vor Hunger. Schließlich kam meine Schwester zu dem Schluss: „Mein Sohn ist doch größer als Gleichaltrige, warum darf er dann nicht auch schwerer sein? Ich habe auch keine Lust mehr, mir das Gebrüll anzuhören.“ Und so fütterte sie ihn weiter, wie sie das für richtig hielt. Der „Kleine“ ist mittlerweile 36 Jahre alt, groß, schlank und sportlich. Wie sähe er heute aus, wenn meine Schwester langfristig in die Diätfalle getappt wäre?