6. Juli 2013: Teilinformation
Schön finde ich immer, wie wir durch Teilinformationen zu braven Patienten manipuliert werden soll. In der Mai-Ausgabe der allseits geschätzten 🙂 Apotheken-Umschau gibt es in der Rubrik „Rat & Hilfe kompakt“ einen kleinen Artikel zur Darmspiegelung, Titel „Seltene Komplikationen“. Hier wird uns suggeriert, dass die Komplikationshäufigkeit weniger wichtig ist als die Chance der Krebsfrüherkennung. So heißt es dann:
„Bei fünf bis zehn von 10.000 Darmspiegelungen kommt es zu einer Darmblutung, die eine Krankenhauseinweisung erfordert.“
Wir werden als Erstes im Dunkeln darüber gelassen, ob dies auf eine Erhebung zurückgeht oder ob solche Krankenhauseinweisungen meldepflichtig sind. Dies wurde in einer Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums festgestellt, so heißt es. Niemand aber sagt uns, wie die Zahlen in dieser Studie erhoben wurde, nicht einmal über welchen Zeitraum. Wir vermuten: ein Jahr. Es könnte aber theoretisch auch ein Monat sein :-). Gehen die Zahlen auf Arztmeldungen zurück? Pflichtmeldungen, oder eine Umfrage? Eine Umfrage in Krankenhäusern? Und werden alle Ärzte, bei denen es zu einer Darmblutung kommt, ehrlich zugeben, dass hier ein Arztfehler vorliegt? Das wird uns nämlich auch nicht gesagt, dass eine Darmblutung – zumindest meines Wissens – ein Fehler ist und nicht etwas, dass mal gerade so passieren kann. Auch wird uns nicht verraten, welche Konsequenzen diese Darmblutungen haben. Ach ja, und wie viele Darmblutungen treten auf, die einfach mal nicht ins Krankenhaus überwiesen werden??
„Bei etwa acht von 10.000 Untersuchungen wird die Darmwand verletzt“
Sind das jetzt acht Fälle zusätzlich zu den fünf bis zehn oben genannten Fällen? Davon gehe ich aus, denn sonst wäre anders formuliert. Das sind dann schon insgesamt 13 bis 18 Fälle von Komplikationen, also praktisch doppelt so viele, wie uns der Artikel einreden möche. Eine ehrliche Ansage wäre gewesen: „Bei etwa 13 bis 18 von 10.000 Untersuchungen kommt es zu Komplikationen, davon 5-10 Blutungen mit Krankenhauseinweisung und ca. 8 Perforationen.“
Was uns auch verschwiegen wird, ist, dass eine Perforation nicht einfach eine Verletzung ist. Verletzung klingt so nach „Hautabschürfung“. Bei einer Perforation wird die Darmwand durchstoßen. Das ist einer Bekannten von mir bei einer Darmspiegelung passiert. Ein paar Tage hing ihr Leben an einem Faden, dann durfte sie ein Vierteljahr mit einem künstlichen Darmausgang leben. Diese Konsequenzen werden ebenso verschwiegen. Wenn ich das mal auf die Einwohner von Remscheid (ca. 118.000) hochrechne, ist das ein Verhältnis von etwa 95 Bürgern mit Perforation. Wohlgemerkt: Ich nehme diese Zahl nur zur Veranschaulichung, „was das bedeutet“, ich gebe die Zahl nicht an, um zu sagen, dass 95 Remscheider Darmblutungen mit Perforation erleiden, denn sie gehen ja nicht alle zu einer Darmspiegelung. Aber 95 Bürger in einer kleinen Großstadt wie Remscheid sind schon eine unübersehbare Gruppe! In einer Millionenstadt wie Köln wären das um die 1000 Menschen. Vernachlässigbar?
Jetzt kommt das Zuckerstückchen:
„Komplikationen gibt es selten, und Präventionsexperten halten sie für vertretbar, weil der Nutzen dieser Untersuchung groß sei: So können zum Beispiel Vorstufen von Darmkrebs entdeckt und oft gleich entfernt werden.“
Hier möchte ich nur zwei Punkte hervorheben: (1) Unbedingt erforderlich wäre hier eine Zahlenangabe, wie viele Krebsvorstufen bei 10.000 Untersuchungen entdeckt werden. Wenn das nur eine wäre – wo stünde da die Verhältnismäßigkeit? (2) Wie viele der entfernten Vorstufen hätten denn wirklich auch zu Krebs geführt? 1 von 10.000? 1 von 3? Da gibt es nämlich auch durchaus Zahlen, die besagen, dass ähnlich wie bei Prostatakrebs im Anfangsstudium der Durchschnittsmensch die Krebsentwicklung „statistisch“ gar nicht mehr erlebt.
Wohlgemerkt, dass mich niemand missversteht: Wieder einmal geht es mir hier darum aufzuzeigen, wie wir durch unvollständige Informationen manipuliert werden. Ich stelle hier nicht die Darmspiegelung an sich zur Diskussion, auch wenn ich persönlich das Risiko nicht eingehen werde.