Kommentar vom 27. September 2009: False Friends
Aus dem Übersetzungsbereich ist der Begriff „False Friends“ (= falsche Freunde) bekannt. Es handelt sich dabei um ähnlich klingende Wortpaare, die aber nicht dieselbe Bedeutung haben. Ein Beispiel z.B. aus dem Englischen und Deutschen: Engl. confesssion, Deutsch Konfession. Das englische Wort „confession“ bedeutet im Deutschen „Geständnis, Beichte“ und hat nichts mit einer Religionsrichtung zu tun!
Auch in der Vollwerternährung gibt es falsche Freunde. Denn für vollwertkundig halten sich viele, das Wort Vollwert führen sie gerne im Mund. Wenn ich dann wieder mal eine tolle Rede höre oder eine neue Superwebsite zum Thema entdecke: Wie stelle ich da fest, ob das wirklich vollwertig, konsequent und zuverlässig ist?
Nun, dafür müssen wir schon ein wenig lesen. Ein guter Hinweis ist aber zu viel Toleranz wie z.B. der Ausdruck „nicht so viel Zucker“ (statt: kein Zucker), „Rohrohrzucker“. Der gestern schon genannte Prof. Leitzmann ist ein gutes Beispiel für jemanden, der sich zum Vollwertexperten aufschwingt, aber – aus welchen Gründen auch immer 😉 – sich nicht mit der Nahrungsmittelindustrie anlegen möchte. Weitere Hinweise sind:
- großzügige Verwendung von Eiern, Sahne und vor allem Milch.
- Margarine, Soya und Stevia als Empfehlung.
- Hinweis auf möglichst geringen Fettverbrauch, selbst bei Verwendung gesunder Fette.
- Ganz verdächtig sind immer Seiten, auf den Nahrungsergänzungsmittel direkt über einen Shop verkauft werden.
- Vorsicht auch, wenn da Formulierungen wie „moderner, mit neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen“ auftauchen, vor allem wenn diese Modernität etc. wieder eine Aufweichung der Kriterien bedeutet. Die einzige für mich nachvollziehbare neuere wissenschaftliche Erkenntnis aus der China Study ist z.B. eher noch eine Einengung der Kriterien (gar kein Tiereiweiß) als eine Aufweichung.
Solche Dinge sind einfach aufzudecken Manchmal müssen wir aber durchaus aufmerksam zuhören, bis der- oder diejenige in die Falle tappt. Es gibt unzählige Webseiten mit Fehlinfos zu allen möglichen Vollwertvarianten. Ich zitiere ein Beispiel einer Zusammenfassung:
Bei einer Umstellung von Zivilisationskost auf Vollwert-Ernährung ist behutsam vorzugehen, damit der erschlaffte Organismus nicht überfordert wird. Einwöchiges Fasten vor der Umstellung erleichtert diese erheblich. Ausreichend Bewegung hilft ebenfalls, da sie den Stoffwechsel anregt. Ein idealer Speiseplan beginnt am Morgen mit einem Frischkorn-Müsli mit Früchten, Nüssen, Samen und Vorzugsmilchprodukten. Mittags und abends sind Salate als Vorspeise oder Hauptgericht vorgesehen, ergänzt durch erhitzte Vollkorn- und Gemüsespeisen sowie Obst, Gemüse und Nüsse als Zwischenmahlzeiten. Die Kosten für eine Vollwert-Ernährung mit Produkten aus ökologischer Produktion liegen eher unter denen eines „Normalhaushalts“, da deutlich weniger Geld für Fleisch, Süßigkeiten, alkoholische Getränke und andere Genussmittel ausgegeben werden. Der Zeitaufwand für eine Vollwert-Ernährung liegt über dem eines „Normalhaushalts“, der mit Convenience-Produkten aus der Mikrowelle arbeitet – die Lebensqualität und Gesundheit, das ökologische und soziale Verantwortungsbewußtsein allerdings auch.
Drei grobe Fehler sind für den Kenner sofort sichtbar (alles nachkontrollierbar in „Unsere Nahrung, Unser Schicksal“):
- Wer konsequent nach Bruker umstellt, hat keine Umstellungsschwierigkeiten! Nur gleichzeitig verzehrte Industriekost macht Vollwertprodukte unverträglich.
- Wer Vorzugsmilchprodukte als wesentlichen Teils des Frischkorn-Müslis empfiehlt, liegt voll daneben. Das führt häufig zu Unverträglichkeiten!
- Zwischenmahlzeiten: Maximal 3 Mahlzeiten isst der Vollwertler, um seinem Verdauungsapparat mindestens 4 Stunde Ruhe zu gewähren.
Ein weiteres Beispiel von einer Website, die sich recht großkotzig „www.ernaehrung.de“ nennt.
Nach der sogenannten „Gießener Konzeption“ wurden diese altbewährten Erfahrungen durch neuere ernährungswissenschaftliche Forschungsergebnisse ergänzt.
Entstanden ist folgende wissenschaftliche Definition der Vollwert-Ernährung (Gießener Formel nach Leitzmann, v. Kürten, Männle):
„Vollwert-Ernährung ist eine Ernährungsweise, in der ernährungsphysiologisch wertvolle Lebensmittel schmackhaft und abwechslungsreich zubereitet werden. Sie besteht vornehmlich aus pflanzlichen Lebensmitteln – Vollgetreide, Gemüse und Obst, möglichst aus kontrolliertem Anbau – sowie Milch und Milchprodukten. Etwa die Hälfte der Lebensmittel wird als Frischkost verzehrt; Fleisch und Eier spielen eine untergeordnete Rolle.
Vollwert-Ernährung unterscheidet sich von üblicher Mischkost durch das Vermeiden übertriebener Be- und Verarbeitung der Lebensmittel sowie durch das Vermeiden von Zusatzstoffen.“
Da haben wir die neueren Forschungsergebnisse (die natürlich immer ein Fortschritt sind, oder?). Von dem bereits mehrfach erwähnten Prof. Leitzmann, gelernter Chemiker. Schon Bruker warnte vor den Seiteneinsteigern, die sich aufgrund von chemischen oder ähnlichen Kenntnissen anmaßen, etwas über den Menschen zu wissen, also über keine ganzheitlich-ärztlichen Erfahrungen verfügen. „Milch und Milchprodukte“ als wesentlicher Bestandteil sind völlig daneben! Hübsch auch die Formulierung „übertriebene Be- und Verarbeitung der Lebensmittel“. Da hüpft die Nahrungsmittelindustrie vor Freude, die „natürlich“ nichts übertreibt.
Mehrmals wurde ich auch schon auf die Video-Reihe von Dr. Rainer Matejka in YouTube hingewiesen, eine fünfteilige Serie mit dem Titel „Irrgarten der Ernährungslüge“.
http://www.youtube.com/view_play_list?p=0589D2D78F9DAE5D
Dr. Matejka ist Mediziner und Naturarzt mit eigener Klinik in Kassel. Auf den Videos (Ausschnitt aus einer Fernsehsendung) ist er „aufgemacht“ wie ein Pfarrer, seriös mit dunklem Hemd und dunkler Krawatte. Er spricht auch fast wie die Karikatur eines Pfarrers: Zum Einschlafen langweilig. Vermutlich damit jeder glaubt: Ah, ein Wissenschaftler, der weiß was. Da ließe sich entgegnen: Nun, die Qualität von Vollwertigkeit können wir doch nicht am Stil ablesen. Richtig, dann wäre Patrick Heizmann mit seiner reißerischen Vortragsweise ein besserer Ernährungsexperte. Aber Matejkas Vortrag ist komplett „tot“. Und das stößt mich ab, denn ein Arzt sollte Menschenliebe und Vertrauen verströmen – wie Dr. Bruker das in Büchern und auch im Leben immer tat (was ich von Zeitzeugen und Filmausschnitten weiß).
Dann habe ich mir diese Vorträge einmal eingehender angehört. Sehr wissenschaftlich gehalten. Auf Anhieb hört sich das gar nicht so schlecht an. Aber wenn wir einmal unsere Ohren spitzen: Kein kritisches Wort über den (Un-)Sinn des Cholesterinwerts, ein ganz wichtiger Punkt bei Dr. Bruker, der dies natürlich auch begründen kann. Beim Thema Zucker erwähnt Matejka nur die allseits als schlecht bekannten Zuckerarten: Haushaltszucker, Kandiszucker, Traubenzucker. Kein Wort über Dicksäfte, Ahornsirup usw. Bei den Fetten lobt er nur das Olivenöl, alle anderen kaltgepressten Öle seien minderwertig. Bei der Butter sagt er zwar, dass sie leicht verdaulich ist, mehr aber nicht. Bei der Margarine merkt er an, dass sie auch in wissenschaftlichen Studien sehr schlecht abschneide, aber es gäbe zwei Sorten, die doch gut seien. An dieser Stelle nennt er keine Namen, gibt nur den Hinweis, dass das teuerste Marketing nicht auch die beste Qualität bedeute. Nichts über die absolute Denaturierung bei der Herstellung.
Das heißt, insgesamt legt er sich nicht fest und nicht wirklich mit jemandem an. Schon Dr. Bruker hat sich zu Zeiten mit der Nahrungsmittelindustrie angelegt, als deren Produkte verglichen mit heute noch recht „harmlos“ waren. Wie kann da jemand glaubhaft sein, der sich in einem solchen Graubereich bewegt?
Weitere Beispiele sind hier gerne gesehen 🙂