2. Mai 2014: Ein neues Rohkost-Buch
„Rohkost = Pulverkost“ von Kristin Knufmann, 24.99 Euro, eine Rezension
Naja, ich habe den Titel dem Inhalt angepasst, aufgedruckt ist „Raw!“ (ISBN 978-3-86244-591-2) 👿 „Roh!“ geht nicht? Wieso denke ich eigentlich, dass Rohkost einfach ist? Nee, nee: Wer Rohkost isst, muss sich erst einmal ein Apothekenschränkchen mit Pülverchen anschaffen. Geht sonst gar nicht!
„So natürlich wie möglich“ sollte für die Rohkost noch viel stärker gelten als für die Vollwertkost. Dazu finden wir hier kaum etwas. Normalerweise ist das Äußere eines Autors mir egal, aber dick aufgetragener blauer Lidschatten, strohblond gefärbte Haare, vermutlich künstlich gewellt, roter Nagellack: Das ist für mich nicht stimmig mit Natürlichkeit. Nicht, dass ich der Ansicht bin, Rohköstler müssten ihr Äußeres vernachlässigen – aber alles ist eine Sache des Ausmaßes. Ein Mensch, der sich wirklich gesund ernährt, hat auch keine Kunst nötig, oder?
Auf den S. 12-13 werden uns Produkte vorgestellt. Nichts aus der Region, viele Dinge nahezu abstrus. Dann die Superfoods…. Weißkohl? Nein, nicht dabei. Immer sind die Geräte deutlich abgebildet, am Ende des Buchs steht keine Bezugsquellenliste, sondern die Fotos der Geräte mit Shop- und Herstelleradressen. Schleichwerbung? Hier schleicht nichts mehr! Warum sind bei einigen Geräten Hersteller angegeben, bei anderen aber der Online-Shop? Zum Flocman würde doch beispielsweise die Adresse von Komo gehören, oder?
Affig finde ich, dass alle Rezepte englische Namen (mit deutschen Erklärungen) tragen. Ein englisches Wort, okay. Mal ein englischer Titel, why not? Aber nur englische Titel?
Schon das erste Frühstück enthält vier Pülverchen. (Wobei Knufmann offensichtlich entgangen ist, dass es keine Rohkost-Vanille gibt.) Meist wird auch noch stundenlang getrocknet.
Ein Rezept heißt „Naturjoghurt“. Natur ist natürlich Quatsch, weil Naturjoghurt schlicht und einfach aus Milch besteht. Oder welche Naturvölker stellen Joghurt aus Cashewnüssen mit Joghurtferment her? Mal ganz abgesehen vom Fettgehalt dieser angeblichen Joghurts! Fett wird hier überhaupt großzügig eingesetzt. In einen Salat für 3-4 Personen kommen 250 g Cashewkerne plus noch 2 EL Olivenöl. Wow….
Birkenzucker, Kokosblütenzucker … alles Industrieprodukte. Nur wenige Rezepte strotzen nicht vor Exotika. Kann man regional keine leckere Rohkost herstellen? Gelbe Currypaste in Rohkost? Nirgendwo wird erwähnt, was das ist, wo ich es bekomme. Dafür wäre doch eine Bezugsquelle schön. Aber ein Hersteller von gelber Currypaste ist vermutlich weniger geneigt, wie soll ich das sagen…. für sich werben zu lassen? Sicher ist es ein Zufall, dass es viele dieser Zutaten – vor allem die Pülverchen (nach wie vor ist das Hanfproteinpulver mein Liebling) – in Knufmanns Shop gibt.
Ich habe das Buch geschenkt bekommen und beim ersten Blättern dachte ich: Na, vielleicht ist ja was Interessantes drin. Nun gut, wer Kokosblütenzucker, Macapulver, Hanfproteinpulver und derlei Abartigkeiten lecker findet, wird mit dem Buch vielleicht glücklich.
Den Text zum Hanfproteinpulver auf der Website von Knufmanns Onlineshop könnte ich mit der Beschreibung von Astronauten-Tubenkost verwechseln:
„Hanfproteinpulver wird aus Hanfsamen gemacht (Anm.: d.h. industriell verarbeitet). Es vereint alle positiven Effekte von Hanfsamen. Es hat einen hohen Anteil an verfügbarem Protein (50%). Daher eignet es sich sehr gut für Sportler und Leute mit einem aktiven Lebensstil. Seine Zusammensetzung von essentiellen Omega 3 und 6 Fettsäuren steht in optimalem Verhältnis. Es beinhaltet viele Vitamine, Enzyme und Mineralstoffe. Durch die Pulverform ist es sehr gut vom Körper zu verstoffwechseln und aufzunehmen und ist zudem glutenfrei.“
Vor allem der letzte Satz gefällt mir gut. So eine dumme Natur, die uns nicht das Pulver an den Bäumen wachsen lässt. Aber wie gut, dass wir so viele Pulverhersteller haben. Und solche tollen Bücher wie das „Roh!“, sorry: „Raw“.
Da hat Knufmann wirklich mein Leben bereichert. Ich bin echt naiv und esse mittags immer noch eine große Portion Salat. Da stehe ich 10 Minuten in der Küche – und könnte es doch so einfach haben: ein bisschen Hanfproteinpulver in die Schüssel, noch etwas Macapulver, 3 EL Algenpulver, 2 EL Chiagel (wo gibt’s das?), Kokosblütenzucker und schon ist die Welt wunderbar.
Ein Literaturverzeichnis oder Quellenangaben gibt es nicht. Okay, ich hätte Knufmann sicher auch kein Geld dafür gegeben, wenn sie einen Link zu meiner Webseite gebracht hätte 😈
Dieses Buch ist eine Beleidigung für die Rohkost. Der Selbstauftrag eines überzeugten Rohköstlers sollte es meiner Überzeugung nach sein, seine Essensweise normalen Menschen näherzubringen, nicht ein paar Schickimickis, die ihr Essen vorwiegend aus Amerika importieren. Ein paar solcher Rezepte würde ich akzeptieren – aber hier gibt es kein einziges, das sich wirklich unproblematisch aus dem deutschen Kühlschrank zaubern lässt.
Dieses Buch erweist der Rohkost einen Bärendienst. Daumen beide nach unten.