21. Juni 2012: Wie mache ich aus einem Kind einen kleinen Vegetarier?
Häufig sind Eltern besorgt, wie sie ihre Kinder zum Vegetarismus bringen können. Da werden die spannendsten Lösungen vorgeschlagen. Gerne hört man dann auch: „Nimm sie mal mit zum Schlachthof“. Oder „Zeig ihnen einen der Gruselfilme, wie Küken / Schweine (usw.) grausam geschlachtet werden.“
Na super. So bekomme ich drei mögliche Ergebnisse: Gewünscht: Die Kinder werden selbst überzeugte Vegetarier und rühren ihr Leben lang kein Fleisch mehr an. Oder: Die Kinder essen wirklich kein Fleisch mehr, sind aber durch die Filme ihr Leben lang traumatisiert. Ein hoher Preis, aber offensichtlich ist manchen Eltern der Vegetarismus wichtiger als das psychische Wohlbefinden ihrer Kinder. Oder aber dem Kind ist das egal, weil es – wie das bei Kindern ganz natürlich ist!!! – keine Empathie empfindet, ein vernünftiger Schutzmechanismus der Natur. Übrigens einer der Gründe, warum Märchen für Kinder gar nicht so grausam sind, wie Erwachsene häufig denken.
Ich sehe nur eine Lösung: Konsequent und freundlich vorleben, auf Nachfragen erklären. Niemals drängen, denn das wird spätestens in der Pubertät zu Widerstand führen.
Oder denken wir doch einmal anders herum: Wie sind wir denn zu Vegetariern geworden? Meine Eltern haben munter Fleisch verzehrt, auch meine Großeltern, meine Geschwister tun es heute noch. Ich habe mich gegen den Fleischverzehr entschieden, ohne auch je einen dieser Filme gesehen zu haben – zum Glück. Mir hat es gereicht, dass wir im Biologieunterricht (ich muss da so 15, 16 oder 17 Jahre alt gewesen sein) angebrütete Eier schlachten mussten. Ich habe mich geweigert, da mitzumachen, was mir in dem Halbjahr nicht unbedingt die beste Note einbrachte. Meine Freundin, sicherlich nicht grausamer von Natur aus als ich, hat eine angebrütete Petrischale mit nach Hause genommen, weil sie das spannend fand. Sie wollte Tierärztin werden, ich nicht – weil ich eben in diesen Dingen sehr leicht zu traumatisieren bin, weswegen ich auch heute noch weggehe, wenn mir jemand Wunden, OP-Berichte o.ä. offeriert. Dennoch habe ich mittags nach diesem Biologieunterricht vermutlich Fleisch gegessen, sogar ja bis vor wenigen Jahren noch aß ich Tierprodukte.
Auch ist es zum Glück so, dass nicht alle Kinder so werden, wie ihre Eltern sich das so glühend wünschen und mit allen mehr oder weniger feinen Methoden versuchen, in die Kinder hineinzuerziehen. Wir hätten sonst nur einen Klon nach dem anderen. Viele von uns sind anders als unsere Eltern – und wir sind meist glücklich darüber. Ohne Kinder, die anders sind als ihre Eltern, gäbe es keinen Fortschritt. Womit ich andererseits auch nicht meine, dass Kinder unerzogen bleiben sollen, um Himmels willen! „Bitte“ und „Danke“ sagen, nicht mit offenem vollem Mund reden: Das sind zum Beispiel Dinge, auf die Eltern nicht in der Erziehung verzichten sollten. Das sind Verhaltensweisen. Aber auch diese beruhen auf Vorleben. Gesinnungsfragen kann ich im Gegensatz zu Verhaltensweisen nicht durch Erziehungsmaßnahmen lenken, nur durch Überzeugung und, um mich zu wiederholen: Vorleben.