Die Lernfähigkeit

Kommentar vom 17. Januar 2011: Alter und Lernen

Am Samstag (15. Januar) erschien in der Tageszeitung (Remscheider Generalanzeiger) ein kleiner Artikel über die Fähigkeit, Neues auch im Alter zu lernen. Das stand nicht auf der Vorderseite, war einspaltig und etwa 13 cm lang. Also nicht sehr breitgewalzt (natürlich nicht, denn so etwas wird nicht gerne breit getreten, behaupte ich mal). Kurz zusammengefasst, wurde jetzt in Studien festgestellt, dass die Lernfähigkeit bis ins hohe Alter unvermindert erhalten bleibt, erst ab 85 Jahren wird das etwas langsamer. Das bezieht sich auf alle Fähigkeiten, vom Klavierspielen bis zum Erlernen theoretischer Zusammenhänge.

Über die Studien und die Studienparameter, -bedingungen und Ähnliches erfahren wir wie immer nichts. Interessant ist es dennoch, bei allen Vorbehalten. Im Grunde bestätigt es ja nur das, was jeder Mensch ohne Vorurteile auch beobachten kann. Es gibt natürlich Menschen, die haben keine Lust mehr, etwas dazu zu lernen. Sie schieben das, wenn sie älter werden, dann bequem auf ihr Alter „Ach im Alter lernt man ja nicht so gut, deshalb will mir das auch nicht in den Kopf“. Einmal davon abgesehen, dass wir vermutlich schnell tot wären, wenn wir nicht jeden Tag unbewusst dazu lernten, geht es eben doch. Wenn wir mit 50 Jahren das Studium einer Sprache aufgreifen und es uns so erscheint, als lernten wir nicht mehr so schnell wie früher, hat das mehrere Gründe: Wir haben lange keine Sprache mehr erlernt, die Synapsen dafür sind nicht mehr trainiert und die „Nervenblitze“ müssen sich die Wege erst wieder suchen. Außerdem, so sage ich immer, ist das Gehirn mit 12 Jahren noch „leerer“ als mit 50 Jahren. Wir sind einfach abgelenkter mit vielen anderen wichtigen Dingen.

Ein weiterer Beweis für die Lernfähigkeit im Alter erlebe ich tagtäglich. Meine Lernfähigkeit ist ungebrochen. Ich habe in den vergangenen Jahren mehrfach begonnen, Fremdsprachen zu erlernen. Das ging genau so flott wie früher. Die meisten Menschen verklären nämlich auch ihre Vergangenheit. Anstatt sich realistisch daran zu erinnern, wie „mühsam“ das früher war, glauben sie, das rutschte einfach durch. Ehrlichkeit zu sich selbst ist da schon angebracht. Ich lerne heutzutage Fremdsprachen sogar leichter als früher – weil ich ja täglich mit der Umsetzung in eine fremde Sprache beschäftigt bin. Das war dann letztendlich auch immer der Grund, warum ich es wieder aufgegeben habe. Jeden Tag mit Übersetzungen arbeiten und dann noch die Freizeit mit Sprache zu füllen, ist mir einfach zu viel.

Ein weiteres schönes Beispiel ist ein guter Freund von mir. Er liest gelegentlich diesen Blog auch und möge mir verzeihen, dass ich ihn als Beispiel nehme, falls es heute der Fall ist 🙂

Er ist ein heller Kopf, das ist keine Frage. Deshalb schickten ihn seine Eltern aufs Gymnasium, wo er jedoch schon in der zweiten Klasse scheiterte. Er wurde wegen seines rüpelhaften Verhaltens von der Schule verwiesen. Nach der Hauptschule machte er eine Lehre und legte seine Gesellenprüfung im Kraftfahrzeugewerbe ab. Besonders ehrgeizig ist er nicht – etwas, das uns verbindet 🙂 – und so entschloss er sich erst dann, nebenberuflich die Meisterausbildung zu beginnen, als das Freunde von ihm taten. Und so wurde er „Betriebsmeister“. Als ich ihn kennen lernte, war er Ende 30. Wieder eine Ausbildung? Kam für ihn nicht in Frage, das ist zu anstrengend neben dem Beruf. Wobei ich ihm Recht geben muss: Ich bewundere Leute, die sich neben einer normalen Berufstätigkeit in ihrer Freizeit mit so viel Disziplin noch mit einer Zusatzausbildung beschäftigen. Als ehemaliger Werkstattleiter in einem Anhängermontagebetrieb ging er dann zu einer Zeitarbeitsfirma als festangestellter Betriebsleiter (habe die genaue Bezeichnung jetzt nicht im Kopf). Alles lief wunderbar, auch im Privatleben hatte sich einiges Positive entwickelt. So ganz nebenbei hat er noch eine Art Schifffahrtspatent abgelegt, weil ihn das interessierte. Er witzelte immer über einen seiner Freunde, der neben dem Beruf noch Betriebswirtschaft studiert hatte. „Nee, also das wäre mir ja zu viel…“.

Vor zweieinhalb Jahren, damals 46 Jahre alt, überraschte er mich mit der Mitteilung, dass er nun ein Studium beginnen würde, und zwar zum „Technischen Betriebswirt“. Ich war platt. Das bedeutete für ihn: Drei Mal in der Woche abends Schule, dann mehrmals mit Kollegen zum Lernen treffen. Manchmal fand auch samstags Unterricht statt. Seine Firma gewährte ihm keine Vergünstigungen, das heißt alle Prüfungstermine etc. nahm er als Urlaub.

Vor ein paar Tagen traf ich ihn wieder, er schreibt jetzt gerade seine Projektarbeit. Die beiden ersten Prüfungsteile hat er bestanden. Vor allem auf den zweiten Teil ist er zu Recht stolz, denn genau in die Zeit seiner Prüfungsvorbereitung fiel der Tod seiner Mutter, der mit viel misslichen Umständen verbunden war. 85% der Punkte hat er erreicht, berichtet er nicht ohne Stolz. Er zählt zu den 6 von 24 Prüflingen, die diesen Prüfungsteil auf Anhieb geschafft haben. „Ich gehöre zu den Ältesten in der Runde“, berichtete er mir auf Nachfragen. „Der älteste Dozent ist drei Jahre jünger als ich.“

Letzlich erzählte ich einer Bekannten davon. Sie sagte: „Boh, das ist eine Leistung, Ende 40 lernt man doch nicht mehr so gut!“ Ich habe mich da natürlich nicht auf eine Grundsatzdiskussion eingelassen 🙂 Sie ist selbst das beste Gegenbeispiel, sie hat nämlich Mitte 40 einen völlig neuen Job angetreten und sich perfekt eingearbeitet. Auch das ist lernen.