Jalousie im Ärztekopf

Ärzte haben Erfahrungswerte, das glaube ich. Manchmal aber bilden sich aus diesen Erfahrungswerte Vorurteile. Dann sieht das so aus, dass du zum Arzt (gilt selbstverständlich auch für Ärztinnen 😉 ) gehst, er sieht dich an – und schon geht das Rollo im Kopf runter:

  • „Übergewicht = daher kommen die Beschwerden“
  • „Raucher = daher kommen die Beschwerden“
  • „Alter > 60 = da gibt es nur die Krankheiten, die bei älteren Menschen eben nun mal vorkommen“

Gerade in jüngster Zeit habe ich es immer wieder gehört, speziell von älteren Frauen, dass in vielen Arztköpfen Muster vorliegen und dass sie keine Lust haben, darüber hinaus zu untersuchen. Egal, was du sagst.

Eine Bekannte erzählte mir, dass du als Frau über 75 Jahre und dann möglichst noch alleinstehend, sofort hörst: „Sie ernähren sich nicht richtig!“. Das ist ja jedem klar, dass so eine Frau nicht mehr ordentlich isst, nicht kocht, nichts Frisches usw. Und damit ist die Jalousie herunter, andere Beschwerden werden erst gar nicht mehr berücksichtigt.

Versuche mal einen Arzt zu finden, der darüber hinaus dann an dir Interesse hat. Schönes Beispiel ist auch Haarausfall. Frau, über 60, Haarausfall? Zink, Schilddrüse, Hormone alle in Ordnung? Na, dann ist die Sache ganz klar, da erstellen wir keine Anamnese mehr, da verschreiben wir gleich das Standardmittel. Egal, was die Frau über ihre Lebensumstände sagt. Das ist dann ein androgen-genetischer Haarausfall. Und dann ist ganz egal, ob alle deine Vorfahren bis ins hohe Alter einen vollen Schopf hatten. Das ist egal, ob dein Haarausfall untypisch ist. Das ist alles egal. Dich untersucht niemand weiter, denn du bist eine Frau über 60. Da gibt es nichts anderes.

Sowas gilt natürlich auch für den Kreislauf. Ich habe zum Beispiel einen niedrigen Blutdruck, immer schon gehabt und ich habe ihn immer noch. Und zwar wirklich niedrige Werte (wem es was sagt: 96/56 mmHg und Ähnliches). Dann verschreibt mir ein Arzt ein Mittel, dass als Nebenwirkung eine Absenkung des Blutdrucks hat. Aber natürlich hat der Verschreiber sich vorher nicht informiert, ob ich vielleicht niedrigen Blutdruck habe, denn ich bin über 60, da hat man immer hohen Blutdruck.

Als ich mit vierzig Jahren beim Optiker war, weil ich die Augen überprüfen lassen wollte, war dem schon klar: Spätestens in zwei Jahren brauchen Sie eine Lesebrille. JEDER über 40/42 braucht eine Lesebrille. Übrigens: Ich lese heute noch ohne Brille. Na sowas aber auch.

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Wir verdauen weiter…

9. Mai 2013: Verdauungsleukozytose Teil 2/2

Mit Stress am Hals (gerne eine Quelle für viel essen) wurde das mit dem Gewicht bzw. dem Passgefühl meiner Klamotten (ich wiege mich schon lange nicht mehr, weil Gewicht meiner Lebenserfahrung nach nicht viel sagt) nicht besser. Ich habe mich lange gefragt, warum ich nicht wieder in die „Ich-bin-satt“-Schiene gelangen konnte.

Irgendwann kam mir ein böser Verdacht. Ich hatte nämlich festgestellt, dass ich abends richtige Berge essen konnte, selbst wenn ich vorher eigentlich nur mäßigen Appetit hatte. Spätestens eine Stunde nach dem Abendessen dachte ich wieder ans Essen. Das ließ sich nicht mit „lebensbedingt“ zur Seite schieben, denn da hat sich praktisch nichts geändert.

Nach einer Weile dachte ich: Ob es die Rohkost ist, die mir den Magen aufschließt? Kann es sein, dass die Verdauungsleukozytose in gewissen Situationen sogar einen richtigen Sinn hat? Schließlich ist sie ja physiologisch.

Es gibt Dinge, die gelten für Gut und Schlecht. Nehmen wir einmal die Hygiene. Die Wohnung sauber zu halten, ist gut. Wenn der Dreck die Wohnung regiert, werden wir krank. Dreck ist also eine krankmachende Sache. Andererseits wissen wir aber auch, dass für Kinder ein gewisses Maß an Dreck förderlich ist, weil sie in Überhygiene aufgewachsen, keine Widerstandskraft gegen Krankheiten entwickeln können und dass sie mehr Allergien entwickeln als andere.

Also habe ich abends mit der Rohkost vor dem Essen aufgehört. Nur mal so zum Test. Was passierte? Ich wurde plötzlich satt. Nicht direkt, wenn ich vom Tisch aufstand. Aber spätestens eine halbe Stunde später fühle ich mich wohlig (!) gesättigt. Eine Stunde nach dem Essen fühle ich mich immer noch nicht-hungrig. Wenn ich zu viel gegessen habe, merke ich das, weil ich im Bett liege und einen schweren Bauch habe. Das kenne ich NICHT, wenn ich vorher Rohkost esse. Ich habe kaum noch das Bedürfnis, abends noch einmal mit dem Knabbern anzufangen. Es ist kein Kampf mehr „Du sollst jetzt nichts mehr essen!“, es ist einfach so. Und in meiner Lebenssituation hat sich Null verändert.

Mit ein paar Menschen habe ich darüber gesprochen. Normalesser bringen dann Argumente wie: „Naja, du weißt nicht mehr, wie es ist, sich satt zu fühlen, also denkst du dieses Pappsatt der Verdauungsleukozytose sei das anzustrebende Sättegefühl“. Dem kann ich widersprechen. Denn dann würde ich nicht nachts im Bett den Unterschied zwischen „ich habe zu viel“ und „ich habe genug“ gegessen spüren.

Die ketzerische Frage, die ich mir gestellt habe, lautete: Wird die Verdauungsleukozytose in der Vollwert nach Bruker völlig falsch interpretiert, weil sie nur von Normalessern bewertet wird? Sie werden sowieso „satt“ und können den Unterschied nicht sehen. Ein Normalesser wird zum Beispiel nach einer Rohkost weniger von der Kochkost essen, denn er kennt dieses Gefühl des stetig Essen-Müssens nicht. Auch einige Essgestörte werden es gar nicht merken, weil ihre Essstörung an einem anderen Punkt sitzt und es nicht die Verdauungsleukozytose ist, die ihnen beim Sattsein hilft. Mit Essgestörten meine ich übrigens Menschen, deren Essstörung, egal woher sie rührt, mittlerweile einfach körperlich vorhanden ist, unabhängig von den Lebensbedingungen. Laienpsychologische Erklärungen, warum das angeblich lebensbedingt ist, kann ich nicht mehr hören. Ich vergleiche das einmal mit dem Alkoholismus: Ein Mensch kann zum Beispiel Alkoholiker aufgrund lebensbedingter Ursachen werden. Aber eines Tages ist der Alkoholismus, selbst wenn die Psyche des Patienten „geheilt“ ist, rein körperlich. Selbst ein ausgeglichener Ex-Alkoholiker wird ohne Anlass bei den Lebensbedingungen wieder körperlich in seine Krankheit verfallen, wenn er ein Glas Alkohol trinkt.

Was mich interessiert ist: Gibt es andere, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben? Die gelernt haben, dass die angeblich negative Verdauungsleukozytose auch ein Schutzmechanismus des Körpers sein kann? Oder jemand, der genau andere Erfahrungen im Rahmen eines Übergewichts/einer Gewichtszunahme gemacht hat (und auch wirklich diesen Punkt ausgetestet hat!). Oder: Wer möchte das einmal – vielleicht 6 Wochen ausprobieren – und berichten? Was mich an dieser Stelle nicht interessiert, ist das, was Bruker „vielleicht“ gesagt hat und was vielerorts dann mehr oder weniger reflektiert weitergegeben wird. Nur eigene Erfahrungen sind interessant, denn lesen kann ich selbst und habe es auch eingehend getan 🙂

Du bist zu dick! Zu dünn!

26. Februar 2012: Gewicht unter Vollwerternährung

„Wer konsequent vollwertig lebt, erreicht automatisch sein ideales Körpergewicht.“

Was für ein Quatsch. Ich glaube nicht, dass ein kluger Kopf wie Dr. Bruker das in dieser Ausschließlichkeit gemeint hat – und wenn, dann sicher in einem großen Zusammenhang.

Es stimmt einfach nicht. Ich kenne zu viele Untergewichtige, die auch mit Vollwertkost Mühe haben, auf ein annähernd normales Gewicht zu kommen. Und immer wieder gibt es auch Menschen, die mit konsequentester Vollwerternährung nicht auf das Gewicht herunterkommen, von dem sie träumen.

Das ist doch ganz einfach: Wer mehr Energie zu sich nimmt, als er verbraucht, nimmt zu. Punkt. Was nicht heißt, dass Vollwertler jetzt doch wieder Kalorien zählen sollen. Ich finde es nur traurig, dass immer wieder Menschen nicht geglaubt wird, die mit dem Übergewicht kämpfen, dass sie konsequent vollwertig leben. Da wird dann immer sofort unterstellt, dass sie „schummeln“. Ja, die Schummler gibt’s natürlich auch. Und dass einem jemand, der selbst spindeldürr ist oder kein Problem mit dem Stoffwechsel hat, nicht glaubt, liegt auf der Hand. Weil diese dürren Menschen, wie das ja viele gerne tun, immer von sich auf andere schließen.

Es gibt einfach auch individuelle Unterschiede bei der Verstoffwechslung. Das wollten früher Ärzte nicht wahrhaben, heute geistert das in der Vollwertecke auch teils rum. Wir schleppen heute häufig nicht nur jahrzehntelange Fehlernährung, sondern auch die Sünden vorheriger Generationen mit uns herum.

Vollwertige Ernährung ist sicher die beste Grundlage für eine Gewichtsreduzierung und auch – wichtiger, als häufig erwähnt werden darf – eine Gewichtserhöhung. Bewegung ist ein weiteres. Ganz, ganz wichtig sind Lebensumstände. Wer unter Stress viel isst, wird das auch als Vollwertler tun und zunehmen – aber nicht so viel wie mit Zivilisationskost und vor allem bleibt er gesünder. Denn auch die Spinnweb-Gedanken in manchem Vollwertkopf „Übergewicht = Krankheitsanfälligkeit“ sollte endlich einmal ausgepustet werden.

Es gibt kein Wundermittel bei zu hohem oder zu niedrigem Gewicht. Wer abnehmen will, muss auch als Vollwertler weniger essen. Der Unterschied ist: Er kann es mit mehr Genuss tun. Und er wird schneller erfolgreich sein. Wichtig ist nicht, ob wir dick(er) oder dünn(er) sind, sondern dass wir gesund sind!

Ich bitte diejenigen, die trotz riesiger Essensmengen mit der Vollwert abgenommen haben, sich hier ihre „besserwisserischen“ Kommentare zu sparen – ich gratuliere ihnen gerne. Ich freue mich für sie. Es gibt aber auch andere, und das bitte ich all diese Menschen endlich, endlich zu respektieren. Wer nicht abnimmt, ist nicht unbedingt willensschwächer als Menschen mit anderem Stoffwechsel oder ein Opfer von Lebensbedingungen, gegen die er sich nicht durchsetzen kann, und auch nicht zu dumm, die Vollwerternährung konsequent durchzuziehen 🙂 Wer hier jetzt wieder einmal das Märchen wiederholen möchte, dass jeder mit Vollwert sein Idealgewicht ganz bestimmt erreicht, möge das zu Hause auf ein Plakat schreiben – ich möchte hier mit denen diskutieren, die andere Erfahrungen gemacht haben 🙂

Eiweiß ist gesund!

Kommentar vom 18. August 2011: Eiweißreich frühstücken macht schlank

Ihr glaubt das nicht? Tse tse. Dann solltet Ihr aber mal die Apotheken-Umschau lesen, in der August-Ausgabe A auf Seite 72 werden nämlich die passenden Ergebnisse einer Studie vorgelegt. „Proteinreiche Speisen am Morgen sättigen lange und beugen so Heißhungerattacken vor“. Dazu untersuchte eine Studie in Columbia, USA drei Wochen lang zehn übergewichtige junge Mädchen.

  • Wie so nur 10? Das ist eine sehr geringe Fallzahl, kaum mit statistischer Aussagekraft.
  • Warum nur Mädchen? Gibt es keine übergewichtigen Jungen in den USA?
  • Warum überhaupt Übergewichtige? Wäre nicht eine Gruppe normalgewichtiger genauso interessant gewesen, zumindest als Kontrollgruppe?

Es gab drei Gruppen – d.h. pro Gruppe die mickrige Anzahl von 3-4 Teilnehmerinnen. Meine Güte, noch weniger wissenschaftlich geht kaum. Gruppe 1: Kein Frühstück; Gruppe 2: ein 500-Kalorien-Mahl mit normalem Eiweißgehalt und Gruppe 3: ein 500-Kalorien-Mahl mit hohem Eiweißgehalt

  • Warum 500 Kalorien zum Frühstück?
  • Handelte es sich um tierisches oder pflanzliches Eiweiß?
  • Woraus bestand der Rest des Frühstücks? Gab es z.B. ein Frischkorngericht dabei?
  • Gab es für den Rest des Tages für alle Gruppen das gleiche zu essen?

Obwohl wichtige Punkte gar nicht berücksichtigt wurde, wurde mit teuersten Methoden ausgewertet: Hormonspiegelmessungen, Magnetresonanztomografie. Sorry, die Geräte können so teuer sein, wie sie wollen – solange Fallzahlen dermaßen mickrig und die Vergleichsgruppen dermaßen schlecht konstruiert sind, bringt das doch gar nichts. Der Satz „Am längsten sättigte das eiweißreiche Frühstück“ hat somit gar keinen Wert. Warum lese ich sowas immer wieder in der Apotheken-Umschau? 😉

Wann habe ich Übergewicht?

Kommentar vom 8. Oktober 2010: Definition von Übergewicht

Es ist ja herrlich, was die Leut‘ sich so einfallen lassen, um uns mit dem unsäglichen Begriff Übergewicht noch weiter zu drangsalieren. Waren es vor Jahrzehnten noch die furchtbaren Tabellen, wo es für Frauen hieß: Zentimeter Körpergröße über 100 minus 10 %, so kam dann der Body Mass Index. Da habe ich schon aufgehört zu rechnen, weil mir das alles zu albern war. Während vor einigen Jahren noch überall zu hören war: Es gibt keine schweren Knochen!, hat sich mittlerweile die Wissenschaft kleinlaut dazu bekannt, dass es wohl doch so einige Unterschiede gibt.

Und jetzt hat uns dieselbe Wissenschaft wieder mit einer neuen Erkenntnis beglückt. Ich hab’s schon ein paar Mal gelesen, aber so richtig ins Auge sprang es mir in der neusten (wie immer überflüssigen) Ausgabe der „DKV impulse“. Ein Top-Experte für Herzchirurgie, Prof. Roland Hetzer, berichtet so einiges über das Herz usw. Eigentlich ein interessanter Arttikel. Dann gibt es noch so eine kleine Tabelle „Vorbeugung im Alltag“. Nun weiß ich nicht, ob die von Hetzer ist oder von einem DKV-Redakteur. Auch hier wird der Punkt Übergewicht aufgegriffen, mit der allerneusten Definition:

„Halten Sie Ihr Normalgewicht. Besonders ungesund für das Herz sind Fettpolster am Bauch. Der Taillenumfang sollte bei Männern unter 94 cm und bei Frauen unter 80 cm bleiben.“

Nee klar. Egal, ob eine Frau 1,55 m oder 1,86 m misst – der Taillenumfang sei bitte 80 cm. Außerdem ist 80 cm Umfang, als der ganze Kreis, nicht besonders viel. Na, das ist doch fein, da wird dann auch endlich denen, die bisher glauben, aus irgendeinem Grund nicht übergewichtig zu sein, auch klargemacht, dass sie zu den Gefährdeten gehören. Wohl denen, die klein sind 😉

Gene und Übergewicht

Kommentar vom 11. Juni 2010: „Schwergewicht durch Genverlust“ (Apothekenumschau Mai 2010)

Es ist ja so wunderbar, wenn ich zunehme, weil das eine genetische Veranlagung ist. Dann brauche ich kein schlechtes Gewissen mehr zu haben, wenn ich mir Burger, Milkshakes, Eis, Schokolade und Döner einverleibe, denn die machen ja gar nicht dick – es sind die Gene. Einen wichtigen Beitrag hierzu liefert einmal wieder die Apotheken-Umschau.

Das Fachmagazin Nature hat nämlich festgestellt, dass ein schwerer Erbfehler manchmal (!) die Ursache für extremes (!) Übergewicht ist. Der genannte Defekt tritt übrigens bei rund 0,7 Prozent aller adipösen (zu Deutsch: fettleibigen) Menschen auf. Na, das sind ja wieder Zahlen, die mich beeindrucken. 7 Menschen von 1000 schwer übergewichtigen Menschen sind das. Also nicht 7 von 1000 Personen, nein, nein, so einfach ist das nicht. Also wäre die nächste Frage: Wie viele Personen „brauche“ ich, um überhaupt erst einmal 1000 schwer übergewichtige Menschen zu finden? 10.000 ? 1.000.000 ? Alles Fragen, die doch zur Beurteilung und Einschätzung dieser Zahlen wirklich wichtig sind. Andere Frage: Heißt das, dass diese Menschen auf eine Ernährungsumstellung nicht ansprechen? Sonst ist das doch völlig wurscht.

Und was ist mit dem Großteil der Schwerübergewichtigen, nämlich den 99,3 Prozent? Bei denen liegt also dieser genetische Defekt nicht vor. Wie lächerlich möchten sich diese Wissenschaftler des Fachblattes Nature eigentlich noch machen? Die hier angegeben Zahlen sind doch völlig ohne jede Bedeutung für das praktische Leben. Genauso gut könnte ich übrigens behaupten, dass die Haarfarbe für das Übergewicht von Bedeutung ist. Denke mal an zehn übergewichtige Menschen aus deinem Bekanntenkreis – ist davon nicht mindestens einer blond? Das sind schon 10%! Also ist doch der Zusammenhang zwischen Haarfarbe und Übergewicht viel, viel stärker als der im obigen Artikel genannte.

Zahlen sind immer wieder interessant. Dann nämlich, wenn wir sie hinterfragen, mit ihnen spielen und andere Faktoren mit ins Verhältnis ziehen. Wir werden heute mit Zahlen zugezaubert. Dabei braucht es meist gar nicht mehr als ein bisschen Addieren, Subtrahieren und Prozentrechnung, um die wissenschaftlichen Luftblasen zum Platzen zu bringen.

Wobei ich nicht gegen Wissenschaft per se bin. Dass mich da niemand missversteht. Ich bin es nur satt, dass lächerliche Ergebnisse aufgebläht werden, um die Steuerzuwendungen zu erhöhen, um uns Normalbürgern irgend einen Schmarren aufzutischen. Dabei gibt es so viele Gebiete, wo echte, seriös durchgeführt Wissenschaft wirklich ihren Platz hätte und notwendig ist.

Zwangswiegen für alle

Kommentar vom 5. Juni 2010: „Kinder und Übergewicht – Verbandschef Josef Kraus spricht“

Josef Kraus ist Träger des Bundesverdienstkreuzes. Er studierte für das Lehramt an Gymnasien die Fächer Deutsch und Sport und ist heute Oberstudiendirektor, seit 1987 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Auf dem Foto bei der Bundesverdienstkreuz-Verleihung: hier können wir sehen, dass er doch etwas Mühe hat, das Jacket über seinem durchtrainierten (haha) Körper zu schließen.

Wieso spreche ich so hässlich über eine kleine Äußerlichkeit? Nun, weil ich heute Morgen in der Tageszeitung seine Äußerungen zu Gewicht von Kindern gelesen habe, was mich wirklich aufgebracht hat.

Kraus möchte nämlich, dass Kinder in der Schule auf Gewicht kontrolliert werden und wenn sie Übergewicht haben, dementsprechend ausgesondert, ups, behandelt und die Eltern benachrichtig werden sollen. Übergewicht, so Kraus, kann nämlich bis an Kindesmisshandlung grenzen. Und Eltern übergewichtiger Kinder sollen dann auch weniger Geld (Hartz IV) bekommen. Meine Meinung dazu:

1. Warum wird hier nur vom Übergewicht gesprochen? Ist der Zwang zum Dünnsein nicht für viele Mädchen und auch Jungen mittlerweile Anlass genug, magersüchtig und somit untergewichtig zu werden?

2. Der Zwang zur Norm (z.B. Markenkleidung, Schlanksein) ist heute bei Jugendlichen schon schlimm genug. Muss das nun noch offiziell abgesegnet werden, indem übergewichtige Kinder noch weiter sozial diskriminiert werden, als das ohnehin schon der Fall ist?

3. Wer bestimmt denn, was übergewichtig ist? Als ich Mitte 20 war, galt für Frauen die Norm „Zentimeter über 100 minus 10 Prozent“. Ich habe damals schon darüber gelacht, meine Mutter sah mit einem solchen Gewicht nämlich aus wie eine runde Kugel (also zu dick), ich dagegen wie ein Opfer aus Hungerzeiten (ausgezehrt – ich hatte damals für kurze Zeit mein Idealgewicht). Das heißt, Kinder und Eltern werden möglicherweise zu einem Gewicht gequält, das in einigen Jahren vielleicht überholt ist?

4. Wie soll denn das Übergewicht bekämpft werden? Indem schon kleine Kinder in Diäten gepresst werden? Ich erinnere da an die Gastbeiträge zum Frühstücksfernsehen von dieser Woche!

5. Eltern müssen sich, so Kraus, um gesunde Ernährung und genügend Bewegung ihrer Kinder kümmern. Wer bestimmt denn jetzt, was gesunde Ernährung ist? Da müssen Eltern, die ihre Kinder rohköstig oder vegetarisch ernähren, bald mit Zwangsmaßnahmen rechnen? Da dauert es auch sicher nicht mehr lange, bis die Vollwert ähnlich diskriminiert wird! Im Übrigen: Warum packt Herr Kraus sich nicht an die eigene Nase? Mit seiner bläulichen schlechten Haut und seinem ganzen Erscheinungsbild sieht er nicht so aus, als ob er sich gesund ernährt oder gar genug bewegt.

6. Kinder durchlaufen Phasen, wo sie in die Breite und dann welche, wo sie in die Höhe wachsen. Ich konnte das bei einem meiner Neffen in den letzten Jahren bestens beobachten. Mit 12 oder 13 Jahren war er wirklich moppelig, er hatte das, was ich so „Kegelbeine“ nenne. Heute, kurz vor seinem 16. Geburtstag, ist er groß und schlaksig. Wie sähe er heute aus, wenn damals die Eltern Druck auf sein Essverhalten ausgeübt und ihm jedes eigene Empfinden für Sattsein somit für alle Zeiten verdorben hätten?

7. Wer garantiert den Eltern, dass nicht ein Arzt die Untersuchung durchführt, der für knabenhafte Figuren schwärmt und daher die Gewichtstabelle bei den Mädels schon mal gerne enger anwendet? Der sich der phasenhaften Entwicklung, wie ich sie in Punkt 6 beschrieben habe, und auch individueller Unterschiede nicht bewusst ist bzw. sie nicht akzeptieren will?

8. Wie weit will der Staat noch in unser Privatleben eingreifen? Wann wird die Rente von Senioren dann demnächst danach bemessen, ob sie auch das rechte Gewicht haben? „Rente runter für fette Rentner!“ ist doch auch ein hübscher Werbeslogan.

Ein wunderschönes Beispiel für den gesunden Menschenverstand ist auch hier meine eigene Familie. Meine ältere Schwester hat zwei Kinder, ein Mädchen und einen Jungen. Der Junge war bei seiner Geburt schon recht groß und dementsprechend auch ein bisschen schwerer als gewöhnlich. Im Alter von einem Jahr war er immer noch größer als gleichaltrige Kinder – und auch ein wenig schwerer. Bei einer der Routineuntersuchungen sagte der Kinderarzt mit besorgter Miene zu meiner Schwester: „Der Junge ist viel zu schwer für sein Alter! Sie dürfen ihm nicht so viel Milch geben, geben Sie ihm öfter Fencheltee.“ Meine Schwester war also brav und gab dem Jungen abwechselnd Milch und Fencheltee. Natürlich wurde der Säugling vom Fencheltee nicht satt und schrie, schrie, schrie vor Hunger. Schließlich kam meine Schwester zu dem Schluss: „Mein Sohn ist doch größer als Gleichaltrige, warum darf er dann nicht auch schwerer sein? Ich habe auch keine Lust mehr, mir das Gebrüll anzuhören.“ Und so fütterte sie ihn weiter, wie sie das für richtig hielt. Der „Kleine“ ist mittlerweile 36 Jahre alt, groß, schlank und sportlich. Wie sähe er heute aus, wenn meine Schwester langfristig in die Diätfalle getappt wäre?

Gastbeitrag: Frühstücksfernsehen

Kommentar vom 1. Juni 2010: „Gastbeitrag: Frühstücksfernsehen“

Mialieh gönnt uns heute in ihrem zweiten Gastbeitrag einen Einblick in die Tiefen der Fernsehwelt. Übrigens habe ich erfahren: am 2. Juni 2010, also heute bzw. morgen, hat Mialieh einen wichtigen beruflichen Termin. Dafür drücke ich ihr ganz feste die Daumen, mit der vollen Kraft der Vollwertkost 😆

Frühstücksfernsehen

An einem Sonntagmorgen guckten meine Tochter, die im Teenageralter ist, und ich Fernsehen. Es kam eine Reportage über dicke Kinder. Besonders vorgestellt wurden Michelle, Jessica und Daniela, 11, 13 und 15 Jahre alt. Die Sendung begann mit der Vermessung der Kinder. Steckbriefartig wurde ein Foto eingeblendet, daneben der Name, das Alter, die Größe und das Gewicht, unter dem Gewicht ein Strich mit einem Ist-gleich-Zeichen und neben dem Zeichen die Zahl der Kilogramm im Übergewicht. Dann wurde gezeigt, was mit dem Kinder im Laufe eines 6-12 wöchigen Kuraufenthaltes gemacht wird: sie treiben Sport (Der Reporter: „Für viele Kinder ist das Thema Sport mit Scham und Mobbing behaftet. Hier entkommen sie jedoch nicht.“). Sie ernähren sich gesund (Der Reporter: „Viele Kinder essen hier zum ersten Mal gesund. In ihren Familien wird über gesundes Essen nicht nachgedacht.“). Gezeigt wurden Kinder beim Gemüseputzen und wie sie hinterher in Windeseile mit Weißmehl gebackene Pfannekuchen essen. Dann mussten sich die Kinder wieder bewegen und dazu wurde eine Diplomsportlehrerin befragt, die Weisheiten von sich gab, die mit „Heutzutage“ anfingen. Die Kinder werden auf 800 bis 1200 Kilokalorien gesetzt. Ziel ist es, dass sie bis  zum Ende der „Kur“ möglichst viel abnehmen. Ein Mädchen wurde dann vom Fernsehsender nach Hause begleitet. Es nahm zu Hause wieder zu. Ein Coach kam und räumte den Kühlschrank von Mutter und Großmutter aus und auf. Dann wollte er mit dem Mädchen Sport machen. „Aber die 15jährige Daniela ist zu willensschwach,“ meinte der Reporter. Man zeigte daraufhin der 15jährigen Daniela, ihrer Mutter und Großmutter ein computeranimiertes Bild. „So sähe Daniela aus, wenn sie sich weiterhin falsch bewegt und ernährt.“ Die Großmutter, die Mutter und Daniela heulten. Dann zog das Fernsehteam vermutlich ab und die Moderatorin im Studie kommentierte vor dem Hintergrund fettleibiger Kinder: „Michelle ist auf einem guten Weg. Jessica hat es geschafft und weitere 5 Kilo abgenommen. Daniela ist zu willensschwach. Sie hat bereits wieder 4 Kilo zugenommen.“

Noch während ich mit Schnappatmung vor dem Fernseher lag, kam eine BBC Reportage. Diesmal wurden magersüchtige Mädchen gezeigt, die sich in einer Klinik in einem Londoner Vorort befanden. Hier herrschte statt Bewegungszwang und Essverbot, Esszwang und Bewegungsverbot. Die Mädchen wurden wieder vermessen. Naomi, 15 Jahre, 32 Kilogramm und Natasha, 12 Jahre, 25 Kilogramm, standen im Mittelpunkt der Reportage. 2500 Kilokalorien mussten die Kinder zu sich nehmen. Kochten in der Reprotage zuvor die Diätassistentinnen ohne Fett oder redeten von ungesättigten Fettsäuren, die man aber nur minimal verwenden durfte, herrschte hier der Zwang zu ungesundem Fett, Zucker und viel Essen. Wenn ein Mädchen nicht aß, wurde das Essen püriert und eingeflößt. Die Zimmer wurden zweimal wöchentlich durchsucht und wenn ein Mädchen die Schokoriegel, die es hatte essen sollen, versteckt hatte, dann wurde das Essen ihm vorgesetzt. Wenn ein Mädchen sich zu viel bewegte, wurde es in ein Einzelzimmer gesteckt und unter Aufsicht gestellt. Die 12jährige Natasha hatte Erfolg und nahm zu. Sie durfte von ihrem Vater besucht werden. Dieser meinte: „Wenn ich das essen würde, was die Kinder hier essen, bekäme ich nach 3 Monaten einen Herzinfarkt.“ Die 15jährige Natasha war schon fünf Monate in der Klinik. Sie meinte: „Wenn ich wieder raus bin, esse ich nicht mehr. Das hier ist so ein Zwang.“

Was blieb bei mir hängen? Ich dachte, dass es in beiden Sendungen nur um das Vermessen und das Einpassen in statistische Größenordnungen gegangen war. Wöchentlich sind die Kinder gewogen worden, die Dicken mussten ausatmen, die Dünnen wurden auf Batterien und Steine durchsucht. Neben allen gesundheitlichen Problemen und der Erwähnung, dass die Kinder „auch psychisch therapiert werden“ müssten, war doch der Fokus beider Reportagen auf die Willensstärke der Kinder gerichtet: die Dicken waren zu schwach, die Dünnen zu stark. Es kam keine Überlegung dazu, was könnte man mit Kindern tun, die solche Probleme haben, dass sie sich mästen oder dass sie freiwillig in Kauf nehmen zu verhungern. Spaß am Essen durfte in beiden Sendungen nicht sein. Verbot und Zwang dominierten die Sendungen. Keiner hat mal überlegt mit den Kindern zu reden, was ihnen schmeckt und gefällt und was man machen könnte, damit sie einen solchen Spaß am Essen haben, dass sie das Essen, was ihnen guttut. Und das Problem, das Eltern mit verursachen könnten, wurde nur auf der Ebene der Kühlschrankkontrolle angesprochen. Dass ein Vater mit seinem abfälligen Reden über den Ernährungsplan der Tochter und seiner Erwartung des sofortigen Herztodes, wenn er diesem Plan folgen würde, die Tochter nicht eben unterstützt, sondern das Problem nur fortsetzt, wurde nicht erwähnt.

Weisheiten aus Frauenarztmund

Kommentar vom 2. Juli 2009: Gynäkologen geben Rat

Ich hab mir den kleinen Artikel aufbewahrt, er erschien am 23. Juni 2009 im Remscheider Generalanzeiger, im allgemeinen Teil, also vermutlich in ganz Nordrhein-Westfalen. Überschrift: „Durch Sport Krampfadern vermeiden“

Schon die Überschrift ließ mich Überirdisches ahnen. Dass Bewegung wichtig ist für den Körper ist ja so eine immens große Erkenntnis, da wäre von uns sicher niemand drauf gekommen. Hier der Artikel im Originaltext:

München. Junge Frauen können durch viel Bewegung und flache Absätze Krampfadern vermeiden. Täglich mindestens zwei Liter zu trinken, Übergewicht abzubauen und lockere Kleidung zu tragen, helfe ebenfalls, gefährliche Blutstauungen in Beinen zu vermeiden, erläutert der Berufsverband der Frauenärzte.

Mal abgesehen von den zwei Litern pro Tag (Dr. Bruker hatte ja zur Menge des Trinkens seine eigene Meinung), ja, was ist denn in diesem Artikel jetzt drin, dass dieser Berufsverband so wichtig tut und die Zeitung das veröffentlicht, als sei das eine bahnbrechende neue Erkenntnis? Bei der Zeitung verstehe ich das gerade noch, die müssen Platz füllen. Aber hat ein Berufsfachverband wirklich nichts anderes zu tun als allgemein bekannte Grundsätze wichtigtuerisch von sich zu geben? Wo ist der Hinweis auf die Schädlichkeit des Rauchens, der doch sonst in solchen Artikelchen auch immer seinen Platz findet? Was ist mit den älteren Frauen, ist das für die egal, ob sie Krampfadern haben? Na klar, eine Frau über 40 ist ja völlig uninteressant, da kümmern sich die Ärzte nicht so gerne drum. Diese Ermahnungen hätten genauso gut zur Verhütung von Kreislaufkollaps, Magenschmerzen, Rückenschmerzen und sonst was noch gepasst.

Aber nein, was fällt mir denn ein. Hier sprechen doch ÄRZTE. Da muss ich hübsch stumm bleiben, denn Ärztemund tut Sch…, äh, sorry WEISHEIT kund.