Kommentar vom 14. Januar 2011: Die eigene Arroganz, oder: eine neue Pizzeria hat eröffnet.
Gestern Morgen gab’s Schüttelwerbung. Das finde ich einen sehr schönen Begriff, den ich auch erst seit einigen Jahren kenne, seitdem ihn mir ein Mitarbeiter aus dem Zeitungsvertrieb erklärte: Das sind Werbebeilagen, die der gewiefte Leser aus der Zeitung „schütteln“ kann, damit er sie endlich los wird. Die heutige Schüttelwerbung war ein Faltblatt, vierfarbig, für eine neue Pizzeria. Offensichtlich eine Kette, unten rechts steht „pizzastudio.de“. Alles in Kleinbuchstaben geschrieben, was mich ja schon gehörig nervt. Na gut, dann können wenigstens dabei keine Rechtschreibfehler gemacht werden 😉
Ich blätterte so durch das kleine Heftchen. Das Foto vorne verheißt uns Gesundheit: Grünzeug, kleine Tomaten und Kokosflocken. Ups, nein, das sind wohl eher hauchdünne Käsescheiben. Da der Konkurrenzkampf unter den Pizzerien groß ist, wird das klassische Angebot von Pizzen und Pasta ja ständig um neue Rubriken erweitert. Es gibt die Kids Box (Mini-Pizza, Capri-Sonne (toll?) und eine kleine Überraschung), natürlich Dinge für Vegetarier (in Käse getaucht), Schnitzel, Kartoffelaufläufe, eine Fastfood-Corner und noch so allerhand. Eine wunderbare Palette. Gewisse Lebensmittel sind mit einem Sternchen markiert. Na klar, ich weiß, was das bedeutet – das sind die Hinweise auf Zusatzstoffe. Erstaunlicherweise sind sie relativ gut lesbar auf der letzten Seite aufgeführt. Zum Beispiel: „Schinken (prosciutto ist formvorderfleisch mit stabilisator e450 und milcheiweiss […] Oliven sind geschwärzt“ und so geht es munter weiter.
Das kann also jeder gut lesen, es ist zwar nicht gerade auf der ersten Seite groß ausgewiesen, aber durchaus zumutbar. Da frage ich mich doch: Warum kaufen die Leute sowas? Lesen sie das nicht? Lesen sie das und es ist ihnen egal? Wie ja auch die meisten Deutschen trotz Dioxin-Skandals weiterhin Eier kaufen und essen werden. Dies wäre ein herrlicher Ansatz für einen Fernsehmoderator, sich über die mal wieder so dumme Bevölkerung zu mokieren, die alles wissen könnte und trotzdem keine Konsequenzen zieht.
Warum wohl nicht? Nun, wir werden mit Skandalgeschichten über Lebensmittel so überschüttet, da wundere ich mich nicht, dass die meisten die Schultern zucken und sagen – ist ja eh alles vergiftet, was soll’s? Und irgendwo ist es natürlich auch vielen Menschen einfach egal, sie achten nicht darauf.
Da sind wir Vollwertler natürlich die viel besseren Menschen. Wir essen bewusst, wir kaufen bewusst ein. Wir würden nie gegen besseres Wissen Zucker essen, und wenn, dann ja nur, weil schon Bruker gesagt hat „Ein Stück Kuchen schadet ja nicht“ (er meinte „bei Gesunden“, aber der Teil fällt höflichst unter den Tisch). Wir nehmen Tomatendosen, um in Eile mal schnell eine Soße zu zaubern, wir essen im Restaurant auch schon mal das „normale“ Essen mit, denn wir wollen ja nicht ständig unangenehm auffallen. Und die paar Nüdelchen und die paar Tassen weißer Reis schaden uns nicht. Ach ja, und ein Stück Fleisch ist dann auch gut gegen den Vitamin B12-Mangel.
Entrüstung macht sich breit – „aber wir sind doch da viel besser als der Normalbürger!“ Nein, sage ich – sind wir nicht. Denn wir wissen MEHR, also müssten wir theoretisch auch viel MEHR an Konsequenz zeigen. Wer von der Vollwert weiß und sich trotzdem ab und an ein Stückchen Kuchen gönnt, braucht sich über den Normalbürger nicht zu erheben. Wir sollten unser Verhalten an unserem Wissen, nicht an den Ergebnissen messen. Ich schließe mich da mit ein. Ich weiß so viel über Zusammenhänge, und dennoch esse ich im Restaurant auch schon mal weißen Reis. Oder ein Weißmehlbrötchen zum Frühstück, wenn ich im Hotel übernachte. Schlimm finde ich dabei nicht, dass ich diese kleinen „Aussetzer“ habe – schlimm finde ich nur, dass ich auf diejenigen herunter schaue, die nichts oder wenig wissen und das bisschen Wissen nicht in die Tat umsetzen.
Fazit: Auch wenn es noch so schwer fällt zu glauben: Wir sind nicht die besseren Menschen 😉