22. Juli 2012: Überlegungen zu Wildkräutern
Vor ein paar Tagen erhielt ich folgendes Foto von einem Rohköstler:

Sieht hübsch aus, oder? Auf jeden Fall ein Hingucker. Andererseits war ich froh, dass mir das nicht live angeboten wurde: Auch wenn ich das eine oder andere Wildkraut verzehrt habe, bei den Blüten habe ich immer noch eine Hemmschwelle. Da habe ich schon im Praxiskurs mit Frau Richter rumgeblödelt, die Löwenzahnblüten als (essbare) Deko verwendete und mich ermunterte: „Macht gesund und stark!“, worauf ich konterte „Bin stark genug :-)“.
Das war natürlich nicht ganz ernst von mir gemeint, aber ich habe so eine kleine Blockade. Drei Jahre lang habe ich bei der Wilden7 Wildkräuter in der Saison bestellt und gegessen. Freude kam da bei mir nicht so recht auf, es war der Kopf, der mir sagte: „Das ist jetzt aber wirklich ganz toll gesund und muss dir schmecken!“ Auch aus eigenem Garten gab’s dann schon mal Löwenzahnblüten (bevor die Katzenfamilie hier einzog und ihren Garten zu ihrem Königreich erklärte). Zaghaft aß ich die eine oder andere. Es ging, aber als Delikatesse konnte ich das immer noch nicht betrachten.
Dann habe ich letztes Jahr eine wunderbare Kräuterwanderung gemacht, dazu gab’s ja auch ein Video (hier). Das war sehr beeindruckend, vieles davon war wirklich lecker. Leider wohne ich aber mitten in der Stadt, sodass ich das kaum praktisch umsetzen konnte. Und mit dem Auto erst 30 Minuten rausfahren (und wieder zurück), um Wildkräuter zu sammeln, finde ich unterm Strich ökologischen Unsinn. Abgesehen davon, dass ich das auch zeitlich schlecht unterbringe, hatte dann irgendwie immer „Wichtigeres“ vor.
Dennoch ist mir die Bedeutung von Wildkräutern und essbaren Blüten durchaus bewusst. Vitalstoffdichte etc., wir können es (fast) überall nachlesen. Und dann kam dieses Foto. Ein kleiner Mailaustausch ging hin und her, und ich bekannte meine zögerliche Haltung. Schrieb der Fotoversender:
„Ja, ich lasse die Blüten auch lieber den Bienen und Hummeln, meine Frau verbietet mir die abzureißen ;-)“
So ein kleiner Scherz am Rande kann auch manchmal ein Denkanstoß sein, bei mir war es so. Es stimmt doch: Wenn jetzt alle – und da würden schon alle Rohköstler und Vollwertler reichen – nach draußen stürmen und die Blüten von den Pflanzen reißen, die Wildkräuter aus dem Boden zupfen: Da gibt es bald nichts mehr für die in Freiheit lebenden Tiere, seien es Insekten oder auch größere Exemplare.
Das ist ja so ähnlich wie beim Honig: Wenn alle Welt jetzt Zucker durch Honig ersetzt, so bedeutet das einen Raubbau an der Natur.
Und so denke ich mir dann: Der Wald, die Wiese, werden es mir danken, dass ich nicht rausstürze, um die wilden Kräuter und Blüten zu sammeln und zu essen. Denn nicht nur die Pflanzen werden ja dabei geschädigt, auch die Natur wird be- und zertreten. Ich hinterlasse eine Spur im Wald, und wenn ich noch so vorsichtig gehe.
Was jetzt keineswegs bedeutet, dass ich einen Kreuzzug gegen Wildkräuter anzetteln möchte, auf keinen Fall! Ich möchte mir nur immer wieder bewusst machen, was ein Schritt für Folgen haben kann. Genauso wie ich weiß, dass ich meine vollwertige Ernährung luxeriös auf dem Rücken der Zivilisationskostesser austrage: Würden alle Menschen, sei es auch nur in Deutschland, sich ausschließlich der Roh- und Vollwertkost verschreiben, würden wir in vielen Dingen sehr viel bescheidener werden müssen, denn dass die Lebensmittelindustrie Arbeitsplätze als Argumente anführt, ist ja nicht völlig verkehrt. Und wir können nicht alle Arbeitsplätze, die dann dort entfallen würden, in die ökologische Landwirtschaft umlenken. Erstens wollen nicht alle Menschen dort arbeiten und zweitens ist dort auch nicht genug Platz.
Manche Gedanken kann ich einfach nicht konsequent zu Ende denken, nur erahnen, was ihre Konsequenz bedeuten würde. Dafür war das Foto wieder einmal ein Anstoß. Und – last but not least – eine feine Entschuldigung, auch diesen Sommer (äh wen???) ohne Blüten auf dem Kuchen zu bleiben.
Da ich das Copyright zu schätzen weiß, wollte ich das Foto nicht einfach übernehmen. sondern habe mir sagen lassen, von wo es stammt. Ich habe mit dem Geschäftsführer von http://www.naturladen-online.de/ Kontakt aufgenommen und gefragt, ob ich es in diesen Artikel einbinden kann. Gar kein Problem. Und ein netter kleiner Mailaustausch. Auch das ist schön – über sachliche Dinge spinnen sich unsichtbare Netze, die man vielleicht nie wieder braucht, die aber das Leben bereichern. Ein kleiner Blick in den Laden und seinen Hintergrund lohnt!